«Wollt ihr mitkommen ins Dorf? Ich besuche da eine Frau, der wir helfen», fragt uns Eric Trutwein. Er ist 70 Jahre alt, betreibt in Yenangyuang eine Schule, ein Hilfswerk und ein Guesthouse, wo wir übernachten.
Klar gehen wir mit. Im Geländewagen fahren wir eine Viertelstunde und kommen zu einem Brunnen. «Bis hierhin mussten die Kinder früher laufen, um Wasser zu holen.» erzählt Eric, «Eine halbe Stunde, und mit gefüllten Kanistern wieder zurück, 20 Liter auf jeder Seite. Jetzt konnten wir Leitungen bauen». Wir fahren weitere fünf Minuten auf staubigen Strassen bis zur Siedlung, von wo sie jeweils losliefen. Sofort sind wir umringt von 15 Kindern. Fünf Mütter kommen auf uns zu, vier davon mit Babys im Arm. Eines ist nur noch Haut und Knochen, hat einen überdimensional grossen Kopf mit eingefallenen Augen und Wangen. «Ich glaube nicht, dass es überlebt», sagt Eric. Er hat Hütten gebaut für die Familien, denn früher wohnten sie auf Palmblättern, hatten rein gar nichts. Einige Kinder gehen nun in seine Schule.
Erics Kindheit war eine schöne Zeit: Burma war unabhängig, es war die Kornkammer Südostasiens, die Wirtschaft brummte, Erics Vater war ein reicher Mann und es fehlte an nichts. Doch dann kam der Umsturz. Die Militärs ergriffen die Macht und verstaatlichten sämtliche Firmen, auch diejenige des Vaters. Zudem beschlagnahmten sie das gesamte Vermögen. Die Wirtschaft ging bachab und von einem Tag auf den nächsten war Erics Familie arm: «Ich erinnere mich, dass wir mindestens neunmal umziehen mussten. Man setzte uns immer wieder vor die Tür, weil wir die Miete nicht bezahlen konnten», erzählt er. Die Eltern gingen arbeiten, wo immer sie konnten. Derweil musste Eric auf seine sieben jüngeren Geschwister aufpassen. Aber sein Vater wusste, was zählt: Eine gute Ausbildung und Englischkenntnisse. Die erwarb Eric. Er wurde Ingenieur und fand eine gut bezahlte Stelle bei einer ausländischen Firma in Yangon.
Eric heiratete spät – eine Freundin aus der Jugendzeit, die ihren Mann verloren hatte. Was man damals noch nicht wusste: Ihr erster Mann starb an Aids, auch sie hatte sich damit angesteckt. Ende der 90er Jahre verstarb sie. Jetzt wussten die Ärzte, dass es Aids war. Eric liess sich testen: HIV positiv. Damals waren antiretroviale Medikamente noch nicht erhältlich und so brach die tödlichen Krankheit auch bei ihm aus (2007 starben in Myanmar 250’000 Menschen an Aids, noch immer hat das Land eine der höchsten Zuwachsraten von Neuinfiszierten, auf 12’500 Einwohner kommt ein Arzt). Er liess sich pensionieren und zog zurück an den Ort, an dem er aufgewachsen war – nach Yenangyuang.
Eric weiss, wie es ist, in Armut zu leben. Er kennt die ungerechte Situation in Myanmar. «Sie halten die Bevölkerung dumm, damit sie nicht rebelliert, lassen sie fast verhungern, so dass die Leute nur an die nächste Mahlzeit denken können», sagt er. Um den Ärmsten in seiner Umgebung helfen zu können, arbeitet Eric mit NGOs aus der Schweiz, Australien und Österreich zusammen. Er sucht Sponsoren für die Kinder, damit diese zur Schule können, baut Hütten für ihre Familien, Wasserversorgungen für Dörfer und züchtet Ziegen. Jedes Kind seiner Schule erhält zum Abschluss eine Ziege – als Startkapital.
Eigentlich kam er nach Yenangyuang, um zu sterben. Doch die Armut und die Hoffnungslosigkeit liessen ihm keine Ruhe: Aids hatte zahlreiche Kinder zu Waisen gemacht. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als Arbeit zu suchen oder zu betteln (Kinderarbeit ist ein wesentlicher Träger der Wirtschaft in Myanmar. Über ein Drittel aller Kinder arbeiten. Kaum eine Familie kann es sich leisten, alle ihre Kinder zur Schule zu schicken). Diesen Kindern fühlt sich Eric besonders verbunden, weil die Krankheit ihr aller Schicksal ist. Er nahm sie bei sich auf und wohnte bald mit 13 Waisen in seinem Haus auf einem Hügel ausserhalb des Städtchens. Und begann sich Sorgen zu machen: «Was wird aus meinen Kindern, wenn ich sterbe? Diese Angst trieb mich an. Ich musste vorsorgen», erklärt er. Vielleicht deshalb oder der burmesischen Medizin wegen ging es ihm gesundheitlich besser. Er hatte eine Vision, wollte etwas schaffen, dass ihn überlebt und die Zukunft der Kinder sichert.
Er kaufte Land, machte Entwürfe für weitere Häuser, die als als Unterkünfte für ausländische Gäste genutzt werden sollten. Aus dem Dorf heuerte er junge Männer an, die ihm beim Bau helfen sollten. Ein papierloses Land, in dem viele Analphabeten leben, erschwerte das Projekt ungemein. Eric hatte alle seine Pläne für die Häuser und Leitungen im Kopf, in aufwändigen Morgensitzungen mit den Arbeitern zeichnete er sie in den Sand. Langsam aber stetig ging es voran mit dem Guesthouse. 2002 war es soweit und er konnte das «Lei Thar Gone» eröffnen. Heute hat das Guesthouse 15 grosszügige Zimmer. Es ist umgeben von einem wunderschönen Garten und bietet traumhafte Aussicht. Wir durften diese Oase fünf Tage lang geniessen.
Als 2012 Privatschulen plötzlich erlaubt waren, baute Eric eine der Ersten, wieder für seine Kinder. Die «Light of Love Highschool» wird teilweise vom Guesthouse finanziert und liegt gleich daneben. Sie unterrichtet 116 Schülerinnen und Schüler, alle aus ganz armen Verhältnissen, viele Waisen oder Halbwaisen. Eric ist stolz auf das erfolgreiche Projekt: «Plötzlich können die kleinen Bettler besser Englisch als alle anderen. Kürzlich kamen reiche Eltern zu mir, die ihre Kinder auch bei uns einschulen wollten. Unter einer Bedingung: Dass man sie doch bitte separat von den Armen unterrichten solle. Ich hätte sie schlagen können!»
Wir haben Eric Trutwein als einen Mann kennengelernt, der sich mit Leib und Seele einsetzt für die Armen – ohne dabei den Humor zu verlieren. Er ist der Motor zahlreicher Projekte, beschäftigt über 20 Leute, scheint energiegeladen und denkt noch nicht ans Aufhören. Obwohl er eigentlich nach Yenangyuang kam, um zu sterben. Jetzt hat er etwas geschaffen, was ihn überleben wird: «Ich habe das Gefühl, dass all dies weitergehen wird, auch ohne mich. Es ist ein gutes Gefühl.»
3 Kommentare