Rolf aus New Jersey

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Hausbesetzer
82 Essex Avenue, Glen Ridge, New Jersey
Protokoll von Besetzer Brixs aka Rolf

Tag 1
Schrecklicher Ort. Schreckliches Haus. Es ist heiss. Es stinkt. Überall Hundehaare.

Meine Familie ist in Hektik ausgebrochen. Kisten um Kisten um Kisten um Kisten. Wieder mal ein anderes Haus besetzen.

Verziehe mich in den Keller.

Tag 2
08.00 – Noch immer im Keller. Familie ist weg. 24 Tage Ferien. Vor mir steht mein lieblos hingestelltes Lieblingsfleisch. Bringe keinen Bissen hinunter. So wie immer, wenn es mir nicht gut geht.

10.00 – Familie hat mir Aufpasser geschickt. Sie klingen empört, schimpfen und fluchen. Ich verstehe sie. Mir graut es auch. Genau so wie dem Haus hier.

Hoffe, sie finden mich nicht hier unten. Will keine neuen Menschen. Und schon gar nicht verantwortlich gemacht werden für das Desaster hier! Ich kann nichts dafür. Schäme mich.

Auch ich bin empört. Dies ist der stinkendste Ort, den ich kenne.

Keller: feucht und heiss. Meine Nase riecht permanent tote Hunde.

Erdgeschoss: weniger feucht, dafür unerträglich heisser. Überall weisse Hundehaare. Klebe am Boden fest. Kartons, Kisten, Matratzen und Kleider verteilt, Schuhe, nasses Strandtuch und Badehose in der Ecke. Pizzaschachteln mit Resten. Chipspackung angebrochen (schlechte Sorte).

12.00 – Wurde entdeckt. Kann man mich bitte EINmal in Ruhe lassen!? Aber nein. Und dann immer das ganze Programm: vor mir in die Hocke, stinkende Hände entgegenstrecken, anfassen. Lange halte ich das nicht mehr aus.

15.00 – Endlich wieder Ruhe im Erdgeschoss. Nach drei Stunden Lärm. Der Staubsauger war noch das Erträglichste.

Hab doch langsam Hunger. Der Preis könnte hoch sein: Stinkhände, Anfassversuche. Zu teuer für Futter.

Erhasche durch den Türspalt einen Blick: Jemand liegt unbewegt unter dem Ventilator. Ist er tot? Hitzetod? Schläft er bloss?

22.00 – Wahrscheinlich doch keine Tote. Vermute Aufpasser im 1. Stock. Ganz schön bescheuert, da oben ist es noch viel heisser. Ziemliche Anfänger!

Ich kann endlich zu meinem Futter im Erdgeschoss.

Erkenne es hier nicht wieder: Hundehaare sind weg. Es riecht nach Putzmittel. Klebe nicht mehr am Boden. Die Kisten stehen geordnet in der Ecke. Wie ist das möglich!?

Tag 3
Es sind zwei Männer und eine Frau. Erste Begegnung im Erdgeschoss: Vorsichtig kritisch. Bin skeptisch. Sie nennen mich Rolf. R O L F !?

Tag 4
Hausbesetzer ≠ Gefangener. Will endlich auch mal raus.

Mache charmant auf mein Bedürfnis aufmerksam: Kein Erfolg.
Kratze am Mückengitter: Kein Erfolg (leichte Irritation der Aufpasser spürbar).
Sitzstreik von der Balkontür: Sie legen mir ein Seil um den Hals! WTF!? Bin doch kein Hund. Obermühsam ist das.

Garten ist heiss und klein.

Genau so heiss wie im Haus. Dieser Ort ist ein Abstieg sondergleichen. Nicht mal eine Klimaanlage. Bloss ein einziger Ventilator im Erdgeschoss über dem Sofa. Und da ist er dauernd, der eine Aufpasser. Liest, schreibt, spielt, schläft. Suspekt, suspekt.

Tag 5
Hitzewarnung. Erinnere mich nicht an den letzten Regen.

Sehe keine andere Möglichkeit: Setze mich neben ihn unter den Ventilator.

Er nennt mich Rolf. Aber er scheint sehr okay. Schenkt mir Ruhe und Liebe. Genau dann, wenn ich will.

Rolf klingt gar nicht so übel.

Tag 6
Sie haben sich einen Tisch gebaut. Halb zerfallene Holzbänkchen aus dem Garten der Vorbesitzer sind ihre Stühle. Das haben sie gut gemacht.

Es gibt auch noch den einen Sessel. Eigentlich mein Sessel, zumindest die Lehne.

Ich esse gerne in Gesellschaft. Sie essen viel und ich nun auch wieder mehr.

Ich glaube, sie mögen mich.

Ich glaube, ich mag sie auch.

Trotzdem: Heute habe ich ein komisches Gefühl. Es zieht mich wieder in den Keller.

Tag 7
Ich wusste es: Wieder werde ich verlassen.

Mein Lieblingsmensch geht weg. Muss ich jetzt alleine unter dem Ventilator liegen?

Ich verabschiede mich nicht. Der Keller ruft.

Tag 10
Zwei Aufpasser sind noch immer da.

  • Positiv 1: Ich gehe ohne Leine in den Garten. Ein Aufpasser begleitet mich. Ab und zu ins Gras beissen. Kann nicht schaden.
  • Positiv 2: Ich habe nun einen Platz auf der Sitzbank während sie essen. Brauche diese Nähe im Moment. Spüre Zuneigung.

Esse trotzdem nicht alleine. Sie sind meistens im Haus.

Tag 13
Bildschirme. Immer Bildschirme. Grosse und kleine. Mit und ohne Ton. Stundenlang. Weiss nicht, was die ständig machen.

Die Aufpasser sind nett. Aber schon sehr komisch.

Tag 15
08.00 – Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Das neue Futter mit extraviel Sosse. Lecker war es. Behalten konnte ich es aber nicht. Sehr zum Missfallen meiner zwischenzeitlich nicht mehr so netten Aufpasser. Nehmt’s mal locker, Mann!

21.00 – Fleisch gegessen. Das mit der extra Sosse.  Gesamter Mageninhalt retourniert. Pflatsch auf den Parkett. Und auf die Treppe. Schäme mich.

Tag 17
Der frühe Morgen ist die schönste Zeit. Zwischen 5.00 und 5.30 ist es am kühlsten. Der Tag erwacht. Nur meine Aufpasser nicht. Die verschlafen Ihr Leben.

Ich verhelfe ihnen zum Glück. Und bringe sie aus dem Bett. Einfach ist es nicht, aber ich bin hartnäckig.

Am besten funktioniert in dieser Reihenfolge:

  1. Beliebiges Ding (Kugelschreiber, Schraube, Ball) wie eine Billardkugel im Zimmer der Aufpasser von Wand zu Wand katapultieren. Mehrere Wiederholungen.
  2. Direkt ansprechen: Miaaaaaaauu. Miiiiiiiau. Mauumaaaau. Mehrmals wiederholen.
  3. (Bei verschlossener Tür) Treppe rauf- und runterrennen, ungebremst gegen die Zimmertür preschen. Wiederholen. Mehrmalig.
  4. (Risikovariante): Auf die Matratze der Aufpasser schleichen. Wirkungsvoll, aber riskant. Aggressive Reaktionen bisweilen erwartbar.

So richtig glücklich sind meine Aufpasser aber noch nicht am frühen Morgen.

Sie werden schon noch lernen, was wirklich schön ist. Und auch, dass man nicht am Morgen, sondern für mehrere Stunden nach dem Frühstück schläft. Und am Nachmittag.

Tag 19
Sie sind wirklich sehr komisch, meine Aufpasser. Statt zu schlafen, rollen sie Matten auf dem Boden aus, machen die fragwürdigsten Verrenkungen. Synchron. Über eine Stunde lang. Hab auch schon versucht mitzumachen. Ich weiss nicht, was das bringen soll!? Sowieso ist es viel, viel zu heiss.

Tag 21
Berührungsangst überwunden. Höhenangst ist auch vergessen.

Wenn ich auf die Lehne meines Sessels springe, bin ich am meinen Aufpassern am nächsten. Hab sie wirklich sehr lieb.

Und sie mich auch.

Rolf am Boden

Tag 23
Sie gehen. Ich glaube, sie kommen nicht mehr zurück.

Sie lassen mich hier. In diesem Haus.

Jetzt, wo es langsam erfreulicher besetzbar wurde. Jetzt, wo es nicht mehr so stinkt. Jetzt, wo es sauber ist und ich nicht mehr am Boden klebe. Jetzt, wo es aufgeräumt ist. Jetzt, wo wir uns so lieb haben. Jetzt, wo ich mich daran gewöhnt habe, Rolf zu sein. Gerne Rolf bin.

Was wird nun werden? Kommt die Familie wieder und mit ihr Chaos, Dreck und mein alter Name Brixs?

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