Drei Tage im Jeep durch Bolivien. Ein Abenteuer, das neben viel unvergleichlicher Natur auch Einblick gibt in die Tourismusindustrie im ärmsten Land Südamerikas.
«Bajan por favor» – «Alle aussteigen», befiehlt Zelso, unser Fahrer, mit leicht verzogenem Gesicht, nachdem er den Schaden inspizierte. Der linke Hinterreifen ist platt. Wir sechs Touristen steigen aus dem Land Cruiser und stehen hilflos in der grandiosen Weite herum, während Zelso ins blaue Übergewand schlüpft, unter den Wagen kriecht und sich am Reserverad zu schaffen macht.
Wir befinden uns mitten im Altiplano Boliviens, einer kargen, wüstenartigen Hochebene, gut 4’000 Meter über Meer. Ein starker Wind weht uns um die Ohren, die Sonne scheint erbarmungslos, meine Nase ist blutig von der trockenen Luft. Die Landschaft scheint unberührt seit Jahrtausenden, urtümlich und wild. Vicuñas, kleine wilde Lamas, ziehen wie Gazellen über die roten, erdigen Ebenen. Unglaublich, dass sie in diesem extremen Klima überleben. Nur wenige Lebewesen schaffen dieses Kunststück — Flamingos, Pumas, Füchse.
Nach 20 Minuten ist der Reifen gewechselt. Wir sind froh, wieder weiterfahren zu können, denn diese Gegend ist echt unwirtlich, nachts sinken die Temperaturen unter den Gefrierpunkt, der Jahresdurchschnitt beträgt drei Grad Celsius. Aber wunderschön ist es, so aus dem fahrenden Jeep heraus betrachtet. Zelso brettert mit über 80 Stundenkilometer über die Schotterpisten. Nach etwa einer Stunde passieren wir die Grenze zum Nationalpark «Reserva Nacional de Fauna Andina Eduardo Abaroa», am linken unteren Ende Boliviens und weit weg von jeglicher Zivilisation. Vulkane, über 6’000 Meter hoch, wechseln sich ab mit salzigen Lagunen in allen Farben. Links erscheint die Laguna Colorada, sechs Kilometer lang, rostrot und mit rosa Flamingos bestückt. Wir staunen und geniessen die Aussicht. Gerne würden wir näher ran, aber Zelso fährt schnell wie immer.
Plötzlich hält er an, steigt aus und läuft nach hinten. Fluchend kommt er zurück: Jetzt ist auch noch der Reifen des Reserverads geplatzt. Was nun? Laufen ist in dieser Umgebung keine Option. Es seien bloss 10 Minuten bis zu unserer Unterkunft für heute Nacht, sagt er, und fährt langsam los, mit kaputtem Reifen. Eine Dreiviertelstunde später kommen wir an. Für uns gibt’s Tee und Cracker, Zelso fährt wieder los, um einen Reifen zu finden. Spätestens um 5 seien wir bei der Lagune, versichert er uns. Wir können ihm nicht glauben, hier gibt es schliesslich kein Dorf im Umkreis von 300 Kilometern. Nur knapp 6’000 Menschen leben in dieser grossen Provinz, sie betreiben Lamazucht oder Bergbau. 99 Prozent haben keinen Zugang zu Elektrizität, 90 Prozent leben ohne sanitäre Einrichtungen. In unserer Unterkunft gibt’s Toiletten und Generator: Die Touristen leben bequem, währenddem die Einheimischen nichts haben und kaum von den vorbeiflitzenden Ausländern profitieren.
Unsere Gruppe spielt Uno bis um 5, Zelso ist nicht zurück. Zwei andere Jeeps sind aber inzwischen eingetroffen, die Gruppen trinken Tee und essen Cracker. Wir fragen deren Fahrer, ob sie uns zur Lagune bringen können, denn die Sonne geht langsam unter. Zelso sei in 10 Minuten da, versichern sie. Nach einer halben Stunde fragen wir wieder, diesmal dringlicher. Gerne würden wir die schöne Lagune sehen, schliesslich haben wir ordentlich viel Geld bezahlt für die dreitägige Tour. «Tut mir leid, jetzt hab ich eben das Auto geputzt. Zudem fehlt mir das Benzin, um euch runter zu bringen», sagt der andere Fahrer.
Nach weiterem Insistieren unsererseits, faulen Ausreden der Fahrer und einigem Fluchen sitzen wir in unserem Jeep, bestückt mit dem Ersatzreifen des anderen. Um 18 Uhr stehen wir an der Lagune und geniessen einen einmaligen Sonnenuntergang, ganz alleine. Das ist insofern bemerkenswert, als dass es in Uyuni gefühlte 500 Touranbieter gibt, die alle genau dieselbe Route fahren. Entsprechend hoch ist die Konkurrenz untereinander. Laut Lonely Planet brechen pro Tag mindestens 50 Touristen von Uyuni auf, von Tupiza und San Pedro aus wohl noch mal so viele. Als wir bei der Isla Incahuasi mitten im Salzsee ankamen, standen bereits 29 Land Cruiser da.
Zelso fährt die Tour schon fünf Jahre, etwa sechsmal pro Monat. Und das merkt man: Von ihm sind nur Anweisungen zu hören, sonst spricht er nicht mit uns. Wir interessieren ihn nicht. Man hat den Eindruck, als ob die Touristen möglichst effizient und schnell durch die drei Tage hindurchgeschleust werden sollen. Ein standardisiertes Programm, standardisierte Menüs und leidenschaftsloses Personal begegnen uns. Das einzige, was ein Funkeln in Zelsos Augen auslöst, ist das Fahren mit über 80 Kilometern pro Stunde auf staubigen Schotterpisten. Alles andere scheint langweilige Routine.
Wir geniessen es trotzdem. Die Landschaft ist einfach zu überwältigend: Zuerst der grösste Salzsee der Erde, eine unendliche weisse Ebene, bestehend aus einer bis zu 300 Meter dicken Salzkruste. Dann Gesteinsformationen, die von Dalí stammen könnten. Rauchende Vulkane und Geysire, durch deren Schwefeldampf wir rennen. Baden in heissen Quellen mit Flamingos im Hintergrund. Und jetzt die Laguna Colorada. Alles grossartig, eigentlich. Wenn nur die Tourismusindustrie etwas sanfter und nachhaltiger wäre, hätten wir auch ein besseres Gefühl dabei.
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