Es sind spannende Zeiten, um die USA zu besuchen. Neben den Wahlen sorgen Schiessereien und Terroranschläge für eine Stimmung des Misstrauens und des Hasses. Doch unterwegs begegnen uns viele Menschen, die so gar nicht ins Bild passen.
Im November wählen die Vereinigten Staaten von Amerika einen neuen Präsidenten – oder eine Präsidentin, wie viele hoffen. Die Bevölkerung ist geteilt: Waffengewalt, Rassismus und eine Stimmung, die geprägt ist von Hass, dominieren den öffentlichen Diskurs. Es scheint, als ob die USA seit 1968, dem Jahr, in dem Martin Luther King und John F. Kennedy ermordet wurden, in diesem Punkt keinen Schritt weiter gekommen sind. Noch immer sind vollautomatische Waffen einem grossen Teil der Bevölkerung zugänglich und bieten dem Normalbürger damit die Möglichkeit blutiger Gewalttaten. Und noch immer sind Schwarze viel häufiger Ziel polizeilicher Gewalt als Weisse. Auch der erste afroamerikanische Präsident konnte diesbezüglich kaum eine Änderung herbeiführen – trotz seiner steten und zunehmend dringlicheren Hinweise auf die latenten Probleme, trotz skizzierten Lösungsvorschlägen. Allein: Die Lobby der Waffenindustrie scheint übermächtig, der politische Wille zu Reformen fehlt.
Doch dies sind keine Neuigkeiten. Hier möchte ich vielmehr erzählen, wie es für uns ist, in dieser Zeit in diesem Land unterwegs zu sein. Wie ist die Stimmung? Wie ticken die Leute auf der Strasse? Inwiefern kommen wir damit in Kontakt?
Die erste Woche auf amerikanischem Boden verbrachten wir in New York City. Das sei nicht das richtige Amerika, versicherte man uns. Wohl möglich: Eine Diversität wie in New York konnten wir selten beobachten. So viele verschiedene Quartiere, Ethnien, Milieus, Szenen. Und alle scheinen friedlich miteinander zu leben. Schwer vorstellbar, dass Donald Trump hier aufgewachsen ist. Wir treffen ihn auf der Brooklyn Bridge, als Pappfigur neben Hillary Clinton. Ansonsten ist für uns vom Wahlkampf erstmal nicht viel spürbar.
Für mich war vor allem Coney Island faszinierend: Eine Oase am Stadtrand, wo Jung und Alt zusammenkommen, um Spass zu haben. Hier gibt es Techno, Hip Hop und Salsa, den Russenstrand, den Lunapark und Nathan’s Hot Dogs. Alles laut, wild und bunt. Alles friedlich, offen für alle und gratis bis ziemlich günstig. Dementsprechend gemischt auch das Publikum – von den oben beschriebenen Problemen ist nichts zu spüren. Eine kleine Utopie vielleicht, sicher nicht das richtige Amerika.
Unser nächste Station: Ithaca, eine kleine Universitätsstadt vier Stunden nördlich von New York. „10 square miles, surrounded by reality“, sagen die Kleber hinten auf den Autos. Ziemlich links und alternativ. Also wieder so ein Ort, der nicht das richtige Amerika ist, hören wir sagen. „Wenn Trump gewählt wird, wandere ich aus, nach Kanada!“, sagt unsere Nachbarin Jennifer mit Nachdruck. Wie viele andere dachte sie lange, Trumps Kandidatur könnte nicht ernsthaft sein, doch jetzt ist sie besorgt. Wenn ihr Land für Menschenverachtung und Ignoranz steht, will sie nicht mehr Teil davon sein. Sie mag Kanada, aber der Gedanke auszuwandern macht ihr Angst. Und Anne, eine Fotografin, geht es ähnlich. Sie hat schon das ehemalige Heimatdorf ihrer Familie in Irland ausgemacht. Hinten auf ihrem Auto klebt, im Stil eines Wahlplakats, der Hinweis auf die ultimative Lösung aller Probleme – eine Lösung, die laut Umfragen heute 13% aller Amerikaner wählen würden: „Giant Meteor 2016 – Just end it already!“
Jennifer und Anne sind, wie viele die wir in Upstate New York treffen, frustriert und enttäuscht von der Politik. Sie fühlen sich weder von Hillary, schon gar nicht von Donald vertreten. Sie hegten grosse Hoffnungen in Barack, sympathisierten mit Bernie Sanders und landen jetzt auf dem harten Boden der Realität: Es bleibt alles beim Alten, im besten Fall, und sonst geht Amerika vor die Hunde. Denn mit Donald, da sind sie sicher, werden die Werte, die ihnen wichtig sind, verraten – ade Freiheit, Gleichheit, Solidarität und Moral. Er ist die grösste Gefahr für ihr Amerika.
„He must be joking!“ rufen die Leute, als sie am „Trump-Mobile“ vorbeigehen, das auf dem Behindertenparkplatz vor dem Walmart-Einkaufszentrum steht. Es ist bezeichnenderweise ein Kia, kein amerikanisches Auto. Blitzblank geputz steht es da, mit viel Aufwand aufge-Trumpt. Man kann darüber Lachen, doch das Lachen bleibt schnell im Hals stecken.
Neben den täglichen Kommentaren, Speeches und Interviews zum und im Wahlkampf erreichen uns auch Nachrichten wie jene vom Massaker in Dallas. Unsere Yoga-Lehrerin, eine zierliche Afro-Amerikanerin, teilt dazu ihre Gedanken mit der Klasse: „Als ich heute morgen die Nachrichten hörte, dachte ich wieder einmal: WTF? So viel Hass – was kann ich dagegen tun? Ich möchte euch ermutigen, andere, fremde Menschen wahrzunehmen, ihnen zuzulächeln. Wenn wir das alle tun, reicht diese kleine Geste vielleicht, um mehr Gemeinsamkeit und Wärme zu erzeugen.“ Am Kongress der Demokraten halten die Leute Schilder in die Höhe, auf denen steht: „Love trumps hate“.
Wir verfolgen die Ereignisse, fasziniert und schockiert zugleich, und sind gespannt auf die Fortsetzung. Insgeheim hoffen wir, irgendwo das wirkliche, richtige Amerika zu entdecken – oder gibt es das am Ende gar nicht, wie man auch schon hören konnte?