Montréal: Meine neue Lieblingsstadt

Jardins Gamelin

Wenn du so ähnlich bist wie ich, dann solltest du unbedingt ein paar Tage in Montréal verbringen. Diese Wohlfühlstadt in Québec, Kanada, hat mich total überrascht mit ihrem Charme, ihrer Kreativität und ihrer Vielfältigkeit. Noch ist sie ein Geheimtipp, das könnte sich aber bald ändern.

Nicht sehr weit weg von New York gelegen, ist Montréal doch ganz anders: Erstens wird hier vor allem Französisch gesprochen, was nicht nur akustisch eleganter ist als Englisch. Zweitens gibt’s hier viel Platz, viele Bäume und weniger Leute, was zu einer sehr entspannten Atmosphäre führt. Drittens ist Montréal kleiner und günstiger als New York, aber fast genau so voll von Geschichte und Kultur. Viertens kann man die Stadt sehr gut per Fahrrad erkunden, wobei man viel mehr sieht. Und nicht zuletzt sind die Temperaturen im Vergleich zu New York auch im Hochsommer aushaltbar – der Winter sei allerdings mit Vorsicht zu geniessen, sagt man. Aber am Besten nehme ich euch einfach mit auf Erkundungstour zu meinen Lieblingsorten.

Ich wohne im Plateau Mont Royal, einem zentral gelegenen Wohnquartier. Braune Backsteinhäuschen reihen sich aneinander. Sie haben meist eine Aussentreppe, die auf den Balkon des ersten Stocks führt. Das ist der einzige Zugang für die oberen Wohnungen – eigenartig und wenig praktisch, aber schön. Ein paar Strassen weiter befindet sich die Avenue Mont Royal, gesäumt von vielen Cafés, Boutiquen und Läden. Mein Lieblingslokal ist das Café Le Placard, wo ich gerne einen grossen Cappuccino trinke. Hier scheint die Zeit ein wenig stehen geblieben zu sein, die Einrichtung stammt wohl noch aus den 60ern. Die Atmosphäre ist unaufgeregt, das Angebot günstig und lecker.

Weiter geht’s die Avenue hinauf Richtung Boulevard Saint Laurent. Zwischen Avenue Laval und Hôtel de Ville führt eines dieser kleinen Gässchen, die hier typisch sind und Ruelles heissen, in die Hinterhöfe. Ich biege links ein und bin in einer ganz anderen Welt: Katzen, Mülltonnen, abgeschlossene Fahrräder, Bretterzäune, Efeu. Es riecht nach blühenden Bäumen und frisch gewaschener Wäsche. Alles ist ruhig hier, kein Verkehr. Perfekt, um ein paar Blocks zu laufen. An der Rue Rachelle gibt’s das Café Replika, wo alle Freelancer und Digital Nomads mit ihren Macbooks den Anschein machen, als ob sie total beschäftigt wären. Ich gehe weiter, miete mir ein Velo für 65 Dollar die Woche.

Gegen Abend fahre ich damit auf den Berg, den Mont Royal, und schau mir die Stadt bei Sonnenuntergang von oben an. Vom Chalet aus hat man die beste Sicht auf Wolkenkratzer, Fluss, Brücken und Hügel im Hintergrund. Langsam wird alles blau, die Lichter der Stadt gehen an. Ich sause runter, den Wind und das laute Zirpen der Zikaden im Ohr, und tauche wieder ein in die unzähligen Strassen. Sie sind mit grossen Bäumen bestückt, die das Licht der Strassenlampen verdecken. In der Nacht fährt man wie in einem Tunnel.

Montreal vom Berg aus

Am nächsten Morgen geht’s – mit einem herausragenden Croissant von der Patisserie Au Kouign Amann im Bauch – zum Nachbarquartier Mile End. Hier wohnen viele orthodoxe Juden, Künstler und Kreative, es gibt Clubs, Theater und Galerien. Das Zentrum bildet die Rue Bernard, wo ein weiteres meiner Lieblingslokale zu finden ist: Le Dépanneur Café, in einem baufälligen ehemaligen Kolonialwarenladen. Immer ist irgendeine junge Band da, heute Jazz mit Gesang, Gitarre und Kontrabass. Ich trinke meinen Cappuccino, höre ein wenig zu, schreibe in mein Tagebuch. Wer Bagels mag, dem sei Fairmount Bagel empfohlen, gleich in der Nähe. Dann mal weiter, zum Park unter der Brücke. Der ist voll von bunten Graffittis an den Pfeilern. Ich folge dem Boulevard Saint Laurent stadtauswärts, bin jetzt in klein Italien und biege rechts in die Rue Dante. Tatsächlich wähnt man sich ein wenig in Südeuropa mit all den Espresso-Bars, Pizzerien und Gelaterias.

Mein Ziel ist Jean Talon, der grösste Markt von Montréal. Jeden Tag kann man hier Frischwaren von überall erstehen, zum vor Ort essen oder mit nach Hause nehmen. Ein wirklich schöner Markt, so aufgeräumt, ordentlich und freundlich – nach Südamerika und Südostasien ein ganz neues Erlebnis. Ich kaufe frische Äpfel, Gemüse und einen Fleischweggen beim Beck. Alles zum Fixpreis, ohne handeln zu müssen. Dann setze ich mich, esse und beobachte die Leute.

Gegen Abend mache ich mich auf zum Fluss. Ich will den Sonnenuntergang am alten Hafen geniessen. Mein Velo und Maps.me bringen mich schnell hin – es gibt extra Velorouten in der ganzen Stadt! Bei den Schleusen am Eingang zum Canal Lachine setzt ich mich auf die Terrasse des Marché des Éclusiers, bestelle ein Bier und bestaune die alten, halb zerfallenen Industriegebäude auf der anderen Seite des Wassers. Im neuen Park dazwischen sitzen Paare im Gras und küssen. Ein riesiges, rotes Ozeanschiff wird nebenan entladen. Sobald das Licht schön warm wird, mach ich mich auf und fahre dem Kanal entlang bis zum Bassin Peel. Von hier aus hat man die beste Aussicht auf die Mühle und das grosse Neonschild von Farine Five Roses. Muss ich natürlich fotografieren.

Den letzten Tag beginne ich im Quartier des Spéctacles. Von der Métro Station Saint Laurent aus breche ich auf zu einer Streetart-Jagd. Die Rue Saint Dominique hinauf seh ich fast an jeder Mauer ein riesiges, farbiges Werk – Übrigbleibsel vom Mural Festival. Künstler aus aller Welt waren da. Gegen Abend dann wird der Platz Émilie Gamelin zum Konzert- und Partylokal. Eine junge Band spielt Funk mit wunderbarem Gesang, danach ein DJ vom Piknic Électronik. Über allem schwebt ein riesiges, farbig beleuchtetes Netz. Ich trinke meinen Wein, esse Poutine und geniesse das Spektakel.

Einen würdigen Abschied bereitet mir die Stadt. Sie ist mir wirklich ans Herz gewachsen in den zwei Wochen, die ich hier verbringen durfte. Das Gemisch aus Französisch und Englisch, europäisch und amerikanisch, Grossstadt und Dorf ist sehr verführerisch. Und natürlich die unaufgeregte, freundliche Art der Bewohner. Wenn nur der Winter nicht so lang und kalt wär, ich könnt glatt hier leben.

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