Kolumbiens Hauptstadt kann unsere Herzen nicht erwärmen. Statt einer grossstädtischen Neujahrsfeier finden wir Meerschweinchenrennen, löcherige Strassen und geschlossene Lokale.
Nur wenig haben wir geplant für unsere dreimonatige Reise. Einer der Fixpunkte ist Neujahr in Bogotá. Wir erwarten den Reiz einer Grossstadt, eine der wichtigsten Metropolen Lateinamerikas. Mit ihren acht Millionen Einwohnern so viele Menschen, wie in unserem gesamten Schweizerheimatland leben. Wir erwarten eine Stadt im Umbruch, eine Stadt, die voll und laut und lebendig ist. Eine Stadt, in der man sicher prima ins neue Jahr feiern kann. Denken wir.
Taxifahren mit Pedro
Ein Taxi zu besteigen, hat hier nach ganz eigenen Regeln zu erfolgen. Eine Art Taxifahrergerechtigkeitssystem wird simuliert. Aus purer Unwissenheit ignorieren wir es und bringen damit uns (wir müssen schwer beladen weiter laufen) und den Taxifahrer (er muss zum Büro und wieder zurück rennen) ins Schnaufen. Pedro, unser Fahrer, kurvt geübt durch die teils engen Strassen, überholt mutig, setzt grosszügig die Hupe ein und unterhält uns daneben mit Geschichten aus seiner Zeit als Frauenheld. Die Hupe scheint übrigens das einzige, was an seinem Wagen problemlos funktioniert. Der Motor klingt in unseren Ohren nicht sehr gut erhalten, die Scheiben lassen sich nicht mehr schliessen, Sicherheitsgurten gibt es nicht und auch das Navigationsgerät gibt nach zweimaligem Flicken mit Sekundenkleber langsam auf. «Ich kaufe morgen neuen Kleber», meint Pedro und lacht. Der Motor scheint ihn nicht zu kümmern. Oder wohl erst, wenn er tatsächlich den Geist aufgibt. Irgendwie typisch für Kolumbien. Vorratssorgen sind fürs Schlaraffenland. Man könnte auch sagen, Planung und Voraussicht sind keine kolumbianischen Stärken. Dafür scheint hier niemand den Humor und den Lebensmut zu verlieren. Unser Taximann legt eine bühnenreife Slalomfahrt in der Altstadt hin, schafft es, die vielen Löcher in der Pflastersteinstrasse zu umfahren. Die Steine fehlen wohl schon länger. Pedro hat sich die Strecke wie ein Rennfahrer eingeprägt.
Wettrennen der Meerschweinchen
Es ist ein schöner Sonntag. Die Avenida Septima, eine der grössten Hauptstrassen der Stadt, die sich entlang der grünen Bergkette zieht, ist wie jeden Sonntag für den motorisierten Verkehr gesperrt. Velos, Fussgänger, Jogger, Hunde, Strassenverkäufer und -artisten machen sie zu einer Art Kilbi für Gross und Klein. Die riesigen Boxen, deren Besitzer sich gegenseitig mit der Lautstärke zu übertreffen versuchen, sind wir uns schon gewohnt. Neu sind die vielen Menschen, die gebannt auf ein paar Meerschweinchen starren. Ein Rennen der kleinen wuscheligen Tiere, mit Wetteinsatz. Seltsam. Nur ein paar Kilometer weiter landen sie als Spezialität auf dem Teller. Daneben bieten in traditionelle Kleider gehüllte Indios einen Ritt auf ihren sichtlich verstörten Lamas an. Ob man die auch essen kann? Wir fragen nicht nach. Überhaupt sprechen wir wenig in diesen ersten Stunden in der lauten Stadt. Zu viel gibt es zu sehen, zu sehr sind wir absorbiert mit Aufnehmen, mit Einordnen, mit Staunen.
Candelaria, die Altstadt von Bogotà
Das Staunen wird uns immer begleiten in dieser kühlen und gleichzeitig hitzigen Stadt. Ein Ort der spür- und sichtbaren Gegensätze. Eine Stadt im Umbruch eben, nur scheint noch nicht so ganz klar, in welche Richtung sie gehen wird oder gehen will. In der Zona G, im Norden der Stadt, schlendern wir vorbei an Schaufenstern mit Eams-Möbel, betrachten die aktuelle Vuitton-Kollektion und essen beim Japaner Sushi. Im nördlichen Teil kann man atmen, weiter südlich werden die Taschentücher schwarz. Der TransMilenio, das einzige Bussystem mit eigener Spur und definierten Haltestellen, verbindet die Stadtteile und ist heillos überlastet. Nähe schaffen gehört zum Programm: Die Fahrten verbringt man eingequetscht zwischen allen andern Passagieren. Meist Menschen, die sich vermutlich kaum je eine Vorspeise beim Japaner leisten können.
Silvester in Bogotá
Ein neues Jahr in einer neuen Stadt einzuläuten, ist aufregend. Bogotá hat keinen schlechten Ruf, wenn es ums Nachtleben geht. Und warum nicht einmal anders Silvester feiern? Wir laufen los, versuchen die löcherigen Strassen in der Candelaria nur halb so elegant zu passieren wie Pedro, und treffen auf der Septima auf eine riesige Menschenmenge. Die Strassen sind voll – Gross und Klein, Strassenstände, Musikboxen, Bier- und Schnapsflaschen. Wir laufen mit im Strom, bleiben stehen, beobachten ein Lichtspiel auf der Plaza Bolivar und müssen uns dann weiterbewegen. Die Temperaturen sind alles andere als gemütlich. Also los in Richtung Bar. Wir laufen und laufen. Die Masse versammelt sich draussen vor einer Bühne. Ein Konzert. Open-Air. Nichts für uns, viel zu viele Menschen. Die Strassen werden allmählich leerer auf unserem eingeschlagenen Weg, spärliche Beleuchtung, vollends dunkle Hauseingänge und hie und da Gestalten, die uns entweder entgegenkommen oder für Minuten verfolgen. Ein komisches Gefühl überkommt mich: Zum ersten Mal seit Beginn unserer Reise fühle ich mich unsicher. Es ist Silvesterabend und gespenstisch ruhig.
Sonntags autofrei: die Avenida Septima
Also los, wir wollen jetzt einfach nur noch eine Bar finden. Ganz egal welcher Art – wir haben keine Ansprüche, wir möchten nur ein Plätzchen, wo wir von der Kälte geschützt etwas trinken können. Ist das zu viel verlangt? In Bogotá ist alles geschlossen an Silvester. Die Bogotanos feiern mit der Familie. Keine Bar, kein Restaurant, kein Café konnten wir finden. Auf der Dachterrassse unseres Hotels treffen wir schlussendlich auf Frodo und seine Freundin. Sarah und Enrico kommen dazu. Auf der blauen Gitarre, die Sarah ihrem Enrico zum Geburtstag geschenkt hat, klimpern er und Frodo ein wenig. Wir trinken Bier aus der Dose. Frodos Freundin hatte noch einen Tankstellenshop gefunden. Die Uhr schlägt Mitternacht, vereinzelt ein paar Raketen. Hallo 2014, wir begrüssen dich schlotternd auf der Dachterrasse unseres Hotels in der Altstadt. 15 Minuten später taucht der nette Herr von der Reception auf. Wir sollten doch bitte jetzt reingehen und ruhig sein. Die Anwohner beklagten sich. Und nein, wir sind noch nicht zurück in der Schweiz. Bogotanos mögen offenbar keine Gitarrenmusik an Silvester. Auch keine Parties. Sie mögen es ruhig, familiär und besinnlich. Unser Silvester war anders. Anders als gedacht.