Wir haben unseren Rucksack ausgepackt und den gesamten Inhalt sorgfältig verstaut – in unserem neuen Appartment in Phnom Penh. Morgens fahren wir mit dem Velo ins Büro zur Arbeit, wo wir eine Sekretärin und ein Mobiltelefon zugesprochen bekommen.
Ihr könnt es euch denken: Wir sind etwas aufgeregt als wir am Montagmorgen zum Hauptsitz der Privatschule fahren, die für die nächsten vier bis acht Wochen unsere Arbeitgeberin sein wird. Wir sind hier als Freiwillige, oder wie es der CEO ausdrückt, in einer „short term role“ im Bereich Marketing, Kommunikation und PR. Als Gegenleistung für unsere Arbeit erhalten wir Kost und Logis. Viel mehr wissen wir nicht. Ein paar wenige Emails gingen im Vorfeld hin und her.
Im hintersten Teil eines Grossraumbüros mit acht Arbeitsplätzen stehen zwei Pulte mit zwei Stühlen für uns bereit. Rundherum sind die stärker klimatisierten Büros der Kader angeordnet. Wir sollen uns setzen und warten. Auf was und wie lange wissen wir nicht. Kurze Zeit später, leicht gestresst, mit einigen Schweissperlen auf der Stirn und einem warmen Lächeln im Gesicht, taucht er auf: Mister Bunvisal. Mit ihm werden wir zusammenarbeiten. Nachdem seine Sekretärin auf seine Anweisung hin den Konferenzraum hergerichtet hat, werden wir hereingebeten.
Ein grosser Tisch, goldenes Tischtuch und Plastikblumen, goldgelbe Vorhänge, die gezogen sind. Immer noch leicht schwitzend stellt er die Klimaanlage auf gefühlte zehn Grad und beginnt mit Ausführungen zu seiner Arbeit, zur Schule, zu geplanten Aktivitäten. Zwischendurch stattet uns der CEO kurz einen stehenden Besuch ab. Er bedankt sich, dass wir hier sind. Erkundigt sich bei Mister Bunvisal, ob wir ein Telefon hätten. Haben wir nicht. Also soll ein Mobile für uns organisiert werden. Ich verstehe nicht genau wofür, aber gut. Mister Bunvisal findet es eine ausgezeichnete Idee von „my CEO“, wie er sagt. Kurz bevor wir uns eine Erkältung geholt haben – nach knapp zwei Stunden – kommt er zum Schluss mit seinen Infos.
Jetzt sind wir an der Reihe. Mister Bunvisal möchte genau wissen, was wir für einen Hintergrund haben. Wir stellen uns kurz vor. Und er scheint in übertriebenem Masse angetan und erfreut über unsere Unterstützung und die Möglichkeit des Austausches, oder wie er wörtlich sagt: „sharing ideas und experiences“. Er stellt uns seine Sekretärin zu Seite und will uns im Verlaufe des Tages alle möglichen Studien und Unterlagen zukommen lassen. Er hätte nicht so ein grosses Büro, deshalb seien wir im Grossraum platziert, erklärt er schon fast entschuldigend. Fragt, ob das in Ordnung sei für uns oder ob wir lieber in seinem Büro arbeiten möchten. Natürlich ist der Platz für uns in Ordnung. Das sagen wir auch so.
Zurück am Arbeitsplatz bringt uns die Sekretärin Kaffee und Wasser, Büromaterial und erste Unterlagen. Ein paar Minuten später kommt Mister Bunvisa und meint, es sei ja viel zu heiss hier. Nur eine Klimaanlage im Raum, das sei einfach zu wenig. Für uns ist die Temperatur in Ordnung. Das sagen wir auch.
Nur, war das vielleicht die falsche Antwort? Haben wir ihm damit Ablehnung entgegengebracht? Denkt er, dass wir an einem Austausch mit ihm nicht interessiert sind? Wir wissen es nicht.
Es ist nun Zeit für einen Rundgang durch die verschiedenen Büros. Mister Bunnyang, der uns bereits am Tag zuvor abgeholt und in unser Appartment geführt hat, macht mit uns eine Vorstellungsrunde. Er ist der administrativ Manager und bewohnt mit seiner Frau, Tochter, Schwiegermutter, Schwager und Schwägerin zwei kleine Räume gleich neben unserem Appartment, welches grösser ist als seins. Ein quirliger, fröhlicher Mann, dessen Lachen sehr ansteckend ist. „My CEO“ hätte uns noch sehen wollen, meint er, aber wir seien noch im Gespräch mit Mister Bunvisal gewesen. Wir nehmen das so zur Kenntnis, ohne uns weiter Gedanken darüber zu machen.
Die Vorstellungsrunde ist einigermassen beschämend. Wie sagt man nun schon wieder „nice to meet you“ in Khmer? Welche Haltung ist die korrekte? Welchen Hierarchiestufen gegenüber sind gefaltete Hände auf Brust-, Kinn- oder Nasenhöhe gefordert? Kopf gesenkt oder nicht? Ariel voraus oder ich? Oje, wir haben alles vergessen.
Etwas später am Nachmittag kommt Mister Bunvisal noch einmal vorbei und sagt: „Ich stelle eure Tische heute Abend in mein Büro. Es ist viel zu heiss hier und so können wir uns einfacher austauschen.“ Wir werden also ins stärker klimatisierte Kaderbüro umquartiert. Wir erachten diesen Schritt als ein Kompliment.
Mister Bunnyang besucht uns auch noch mal im Grossraumbüro. Er sei bei der Bank gewesen, erzählt er strahlend. Er streckt uns ein paar hundert Dollar in die Hand und sagt, dies sei unser Geld für’s Essen. Wir staunen nicht schlecht. Es ist eine grosszügige Summe, die wir einfach so im Voraus erhalten. Und dies bevor wir wissen, was wir hier eigentlich genau tun werden. Wir fragen Mister Bunnyang, ob wir den CEO noch mal sprechen könnten. Gerne würden wir uns bedanken und wissen, wie die Rahmenbedingungen sind, was genau unsere Tätigkeit umfasst, wann und wie lange wir arbeiten. Mister Bunnyang meint: „Ich frage ihn, ob er euch sehen will.“ Ariel sagt: „Ja sehr gerne, wir würden ihn sehr gerne sehen.“ Ein paar Minuten später kommt er zurück, lachend wie immer: „Es ist in Ordnung. Er hat euch heute Morgen gesehen. Macht euch keine Sorgen.“ OK, gut. Wahrscheinlich schon der hundertste Fauxpas am ersten Tag. Wir realisieren: Natürlich haben nicht wir den CEO zu fragen, ob WIR ihn sehen können. Es ist ausschliesslich so, dass es die Möglichkeit geben kann, dass ER uns sehen möchte.
Während die Kader noch eine Sitzung in Khmer abhalten, verabschieden wir uns aus dem Grossraumbüro für heute. Wir müssen noch ein neues Schloss für unsere Velos kaufen. Das aktuelle hat Mister Bunnyang für unzureichend befunden. Ausserdem wollen wir auf dem Markt einkaufen und zum ersten Mal seit knapp zweieinhalb Monaten wieder selber etwas kochen. Dass wir ZUSAMMEN kochen, sieht Mister Bunnyang zum Glück nicht. Es wäre ein weiterer Punkt, der uns komisch erscheinen liesse. Schrieb er doch im Vorfeld an Ariel eine Mail mit der Frage: „Möchte deine Frau kochen?“ Ariel sollte auch nicht allzu spät ins Bett heute: Mister Bunnyang hat ihn gefragt, ob er Morgen um 5.30 Uhr mit ihm Workout machen möchte. Zum ersten Mal stört es mich nicht, dass Frauen hier offensichtlich andere Rollen einnehmen.
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