Wir versuchen es: Seit genau zwei Jahren sind wir zusammen auf Weltreise und verwirklichen damit einen lange gehegten Traum. Doch was heisst das eigentlich, seinen Traum zu leben? Kann so etwas überhaupt funktionieren?
Jeder Traum ist zuerst einmal eine Fantasie, eine nur im Kopf existierende Parallelwelt, die nicht so genau umrissen ist, unscharf an den Rändern, ja selbst im Zentrum stellenweise grosse weisse Löcher aufweisend. Wenn wir versuchen, diesen Traum aus dem Kopf heraus in die Realität zu transferieren, werden die Löcher langsam mit buntem, lautem, treibendem Leben gefüllt, das sich bis zu den Rändern ausdehnt. Sie erscheinen nun fast schon schmerzhaft, so dass wir uns manchmal fragen, ob diese Realität wirklich noch unser Traum ist – war der doch im Kopf so viel perfekter ausgemalt, mit all den idyllischen Unschärfen und romantischen Nebelfetzen.
Es ist vergleichbar mit einer Beziehung: Die ersten Monate waren wir total hin und weg, wollten nur noch Reisen, immer weiter, immer mehr Neues, Unbekanntes entdecken. Die typische Honeymoon-Phase. Dann die erste Krise. Riesige Müllberge, chinesische Tourgruppen, endlose Busreisen und zu viele Eindrücke. Wir brauchten erst mal Abstand vom Herumziehen, mussten uns bewusst werden, was uns wirklich wichtig ist, was uns gut tut und was nicht. Ständig zusammen sein, so etwas wie Alltag in der Fremde, all die Erlebnisse verarbeiten – wie schafft man das auf Reisen? Wie war das mit den einsamen Stränden, den fremden Kulturen, den aufregenden Abenteuern? Lange Diskussionen über Erwartungen und Realität folgten. Zehn Tage Schweigen. Sechs Wochen Putzen. Dann das Paradies auf Hawaii.
Im zweiten Reisejahr glaubten wir, gestärkt zu sein. Wir wussten ja jetzt eine ganze Menge mehr über das Reisen, unsere Bedürfnisse, die reale Reisewelt. So schnell konnte uns nichts mehr aus den Socken hauen. Unser Traum hat Gestalt angenommen, wir haben ihn erkundet, leben ihn, sind wahrhaftige Reiseprofis. Doch dann dies: Raubüberfall, gebrochene Schulter, Besuch aus der Schweiz. Das Leben in der Ferne wurde plötzlich merkwürdig sinnlos – die beruflichen Herausforderungen und die damit einhergehende Bestätigung fehlten uns, wir fühlten uns nicht mehr gebraucht, waren zu lange schon am Geniessen. Zudem vermissten wir die eigenen vier Wände, das alte Bekannte, die alten Bekannten, die Heimat. Nie hätten wir gedacht, dass es soweit kommen könnte, aber plötzlich war es da, das ominöse Heimweh. Wir hatten ausgeträumt, wurden von der Wirklichkeit abrupt geweckt.
Was jetzt? Abbrechen oder durchziehen? Wir entschieden uns für einen Mittelweg: Pause. Was in einer Beziehung meist nicht funktioniert, war für uns perfekt. Beim Housesitting in den USA hüteten wir zwei Häuser und fühlten uns schon bald fast wie Zuhause, ja wie im bürgerlichsten Bünzlileben, das wir nie gelebt hatten. Moni kochte, ich mähte den Rasen, wir besuchten Yogaklassen, arbeiteten an Textaufträgen, fütterten Katzen und alles fühlte sich so normal an. So alltagsmässig, fast schon langweilig und darum genau richtig. Als dann auch noch eine Job-Anfrage aus Mexiko hereinflatterte, wussten wir: Unser Reisetraum geht weiter.
Nach sechs Wochen Hotelhüten an der Riviera Maya hatten wir erneut so richtig Lust aufs Nomadenleben. Und wir hätten uns kein besseres Land wünschen können als Mexiko, um wieder damit anzufangen. Es war quasi die zweite Blütezeit. Reifer, um ganz viele Erfahrungen reicher und darum umso dankbarer für alles Schöne, Interessante und Unbekannte erlebten wir die Reise gen Norden. Unser Traum erwachte zu neuem Leben, und das genossen wir in vollen Zügen. Auch weil wir wussten, dass es jederzeit wieder anders kommen kann, dass die Realität oft nicht traumhaft ist, dass diese nicht alltäglichen Momente kaum für immer währen können (ohne eben genau zu alltäglich zu werden und dadurch zu real für einen Traum).
«Lebe deinen Traum» heisst es gerne. Das tönt so einfach, so leicht, so gut. Schön, wenn man einen Traum hat. Noch schöner, wenn man den Mut und die Möglichkeit hat, ihn zu leben. Am schönsten, wenn Traum und Realität übereinstimmen und harmonisch zusammen funktionieren. Dass dies nicht immer der Fall ist, wissen wohl alle, die’s versucht haben. In unserem Fall heisst das: Ja, wir können unseren Traum leben. Doch weil wir kein Traumleben führen, sondern ein reales, wissen wir, dass es Herausforderungen, Unerwartetes und Enttäuschungen mit sich bringen kann – denn auch unser Leben ist (entgegen einiger anderslautender Annahmen) kein Ponyhof.
6 Kommentare
Wunderschöner Text! So echt, realistisch und doch so positiv. Wünsche euch weiterhin ganz viele eindrückliche Erlebnisse auf eurer Lebensreise.
Herzlichen Dank liebe Kathrin. Für die eindrücklichen Erlebnisse muss man ja zum Glück nicht immer weit reisen. Liebe Grüsse
Lese immer gerne von dir/euch. Danke für die guten, ehrlichen und eindrücklichen Texte aus der Ferne! Schön, dass wir daheim ein wenig Einblick in euren Traum haben dürfen :-). Lg, Anita
Danke liebe Anita. Freut mich sehr, dass dir die Texte gefallen. LG, Ariel
Hallo Guter Leu
Ich bin erst jetzt auf euren Blog gestossen – grossartig! Speziell, wenn man momentan in der gleichen Situation iregendwo unterwegs ist… Deshalb wäre ich froh um einen Tipp: Über welche Plattform habt ihr die Housesitting-Jobs gesucht/gefunden (Trusted Houssitters?)? Danke für die Hilfe y Pura Vida aus Costa Rica, Annina
Hallo Annina,
Danke schön! Wir haben unsere House-Sits in den USA über housesittersamerica.com und mindmyhouse.com gefunden. Ein guter Artikel: http://www.nomadicmatt.com/travel-blogs/house-sitting/
Ich wünsch dir alles Gute und viele spannende Erlebnisse. ¡Que te vaya bien! Ariel.