Nach meinem letzten Spitaltest in Hawaii bin ich wieder reif für eine neue Mission. Diesmal in einem Land, das sich im medizinischen Bereich vor allem in plastischer Chirurgie einen Namen gemacht hat. Ich habe mir Kolumbien ausgesucht.
Allerdings nicht mit Absichten ästhetische Korrekturen vorzunehmen, nein, es ist wieder mal die Notfallaufnahme, die ich in Santa Marta an der karibischen Küste aufsuche. Diesmal sind starke Schmerzen im Spiel und ich hoffe auf rasche Behandlung. Der Notfallstation hier gleicht einem einzigen grossen Wartezimmer, gefüllt mit eher nachlässig aufgereihten Wackelstühlen, die vermutlich schon seit der Eröffnung des Spitals vor Jahrzehnten hier ihr trauriges Dasein fristen. Es gibt vier Schalter, nur einer davon ist besetzt: Papiere ausfüllen, Passkopie hinterlegen und Kreditkarte abgeben (!), Platz nehmen.
Da taucht es vor mir auf. Überdimensional, versehen mit grossen Lettern, fiesen Farben und unmissverständlichen Piktogrammen: Das Wartezeiten-Plakat. Es führt mir bildhaft vor Augen, wo ich gelandet bin. Nicht in einer Nasenklinik im schicken Poblado in Medellin, sondern an der armen Costa in der Notfallaufnahme. Das Poster erklärt die Priorisierung der Notfälle mit Angaben der Wartezeiten bis zur Behandlung. Gemeine 3 Kategorien sind da aufgeführt: Kategorie 1 sind die Sterbenden und halb Toten, sie dürfen auf eine Behandlung innerhalb von 4 Stunden rechnen. Kategorie 2 bilden die Verwundeten mit starken Blutungen, Schwangere, Vergewaltigungsopfer und Knochenbruchpatienten mit starken Schmerzen. Sie alle warten gemäss diesem Plakat 4-8 Stunden. Wer sich zur Kategorie 3 der Notfallaufname von Santa Marta zählen muss, braucht sich dann eben 8-12 Stunden bis zur Behandlung zu gedulden. Darin aufgeführt sind zum Beispiel alle übrigen Gewaltopfer, Verwundete mit leichten Blutungen oder Sturzpatienten ohne Bewusstlosigkeit. Bewusst wird hier vor allem eines: Es fehlt an allen Ecken und Enden.
Irgendwann werde ich gemessen, gewogen, man nimmt mir Blutdruck, Temperatur und Puls und fragt nach Schmerzen. Alles wird schön notiert. Ich muss durch die nächste Tür. Ich sehe eine Stuhlreihe bestehend aus weiteren Wackelstühlen. Alle sind besetzt. Es gibt ein paar Zimmer mit verschlossenen Türen. Auf dem schmalen Gang stehen die altbekannten Pritschen, auf die sich diejenigen gesetzt haben, die nicht mehr stehen können.
Nach drei Stunden werde ich in ein Zimmer gerufen. Ich bekomme eine Schmerzspritze. Dann muss ich wieder zurück auf den Gang. Ein ungewohnt ruhiger Ort an der dauerbeschallten kolumbianischen Küste. Nur ein auf moderate Lautstärke eingestellter Fernseher brummt in der Ecke vor sich hin. Einige der Wartenden tragen grüne Schürzengewänder. Vor mir steht ein Mädchen in einem Gewand mit grossen trockenen Blutflecken. Es sieht so aus, als ob diese von einem vorherigen Patienten wären.
Eine halbe Stunde später kommt eine Frau zu mir. Ich soll in ein anderes Zimmer zum Röntgen. Ich kann mich mit dem Radiologen verständigen und ziehe diesmal nicht mehr Kleider als notwendig aus.
Nach weiteren 30 Minuten taucht die Frau wieder auf. Ich muss wieder in ein anderes Zimmer, werde geheissen, mich auf eine Pritsche zu setzen. Und zu warten. Das Zimmer hat eine Türe, aber es ist trotz seiner knapp 5 Quadratmeter für mehrere Patienten gedacht. Ein Junge kommt herein. Er muss sich ausziehen in diesem Raum und wird von der Frau befragt.
Die Frau wendet sich nun mir zu. Sie habe die Röntgenaufnahmen gesehen. Meine Schulter sei ausgekugelt. Der Arzt sei noch am Operieren. Aber “ahorita” – was so viel heisst wie jetzt gleich, bald, oder in zwei Stunden – könnte ich ihn sehen. Tatsächlich ist dies schon bald der Fall. Allerdings wird Ariel erst noch auf die Strasse geschickt um die notwendigen Medikamente und eine Armschlinge einzukaufen.
Den Arzt sehe ich in seinem Pausenraum. Allerdings sehe ich ihn besser als er mich. Er scheint völlig übernächtigt und ist entsprechend erschöpft. Meine Schulter sei gebrochen. Er liest die Röntgenbilder also anders als die Frau. Ich bekomme eine Schlinge zur Stabilisierung und Schmerzmedikamente. Und gute Genesungswünsche auf den Heimweg.