Mit dem Segelboot ins Paradies und fast nicht mehr zurück. Unfreiwillig.
Big Fish, unser Segelboot, sollte am Samstag losfahren von Cartagena. Ein paar Tage vorher erfahren wir, dass sich die Abfahrt um einen Tag verzögert. Aus organisatorischen Gründen. Einmal mehr sind unsere organisatorischen Fähigkeiten und Flexibilität gefragt. Wir buchen unser Hostel in Cartagena um, lassen die Reservation am Ankunftsort in Panama von der Segelboot-Agentur ändern. Abfahrt also am Sonntag. Treffpunkt 8 Uhr bei der Marina. Ariel, Chrigi und ich sind da. Die andern sieben Passagiere ebenfalls. Auch die Köchin Louana und der Hilfskapitän Hari. Wir beziehen unsere Kojen, merken, dass das Boot eigentlich für acht Personen ausgelegt ist. Deswegen bekommt Chrigi auch keine Koje, sondern wird instruiert, dass er die nächsten 5 Nächte in einem Sarg zu schlafen habe. Ohne Licht. Ohne Luft. Oder alternativ auf Deck im Wind.
Den ganzen Tag über sind wir, der Medikamente gegen Seekrankheit wegen, schon ziemlich schläfrig. Ist auch ziemlich toughes Zeug, das wir da eingeworfen haben. In der Schweiz drum auch nicht zugelassen. Wir warten auf Infos und den Kapitän. Dann taucht er plötzlich auf. Nicht um uns zu begrüssen, nicht um sich vorzustellen. Aber um mal kurz seinen Laptop anzuschliessen, auf den Bildschirm zu starren und dann in radebrechendem Englisch zu verkünden: „I’m not going tonight, it’s too dangerous. It’s not a joke. We’re leaving tomorrow at 6.“ Und damit verlässt er das Boot.
Am Montag werden wir nicht von der Sonne geweckt, sondern vom laut brummenden Motor. Wäre der nicht gewesen, dann wären wir spätestens erwacht, als wir zum ersten Mal an die Wand geklatscht wurden. Schüttelnd und rüttelnd und schaukelnd beginnt unser Tag. Wir fahren.
Ununterbrochen schüttelnd und rüttelnd vergehen die nächsten 36 Stunden. Am lautesten ist der Motor. Kaum jemand sagt etwas, jeder versucht sich möglichst ruhig zu verhalten, nicht zu bewegen und vor allem nicht zu übergeben. Je mehr Zeit vergeht, umso mehr unserer Mitpassagiere begeben sich zum hinteren Teil des Bootes. Der Kotzstelle.
Unsere Koje ist auch gar nicht unsere Koje. Der Herr Kapitän und auch die Köchin Louna erlauben sich, ungefragt auf unserem Bett zu schlafen. Auch schön. Es ist einfach viel, viel zu wenig Platz für alle da.
All dies ist vergessen als wir im Paradies ankommen. Wir sind bei den ersten San Blas-Inseln. Kristallklares Wasser, schneeweisser Sand, ein paar Kokospalmen, zwei kleine Hütten. Es ist kaum zu glauben, dass so viel Kitsch Realität wird. Wir staunen und freuen uns und können es kaum erwarten, endlich ins einladende Türkis zu tauchen. Die letzte Dusche ist drei Tage her, wir sind total verschwitzt und klebrig. Wir springen vom Boot, schwimmen zur Insel und es ist alles noch einmal viel schöner, als es schon ausgesehen hat. Eine Insel für uns alleine. In zwei Minuten hat man sie zu Fuss umrundet. Es ist einfach herrlich. Wir schnappen uns gleich auch die Schnorchel und schauen uns die Riffs an. Kein Wunder, sind sie UNESCO geschützt. Ein Traum, die vielen bunten Fische, die Seesterne und glücklicherweise ist alles sehr gut erhalten.
Am nächsten Morgen, meinem Geburtstag, erreichen wir die nächste Insel. Auch sie eigentlich viel zu schön, um wahr zu sein. Wir sammeln Holz für das Barbeque am Abend. Auf der kitschigsten Trauminsel serviert mir Louana einen Schoggigeburtstagskuchen mit vielen Kerzen. Ich bin gerührt. Ein traumhafter Geburtstag.
Wir erfahren, dass wir bei meiner Geburtstagsinsel noch einen Tag bleiben. Am nächsten Morgen scheinen sich die versteckten Pläne schon wieder geändert zu haben. Wir fahren weiter zur Zollinsel. Hässlich, klein und mit schlimmen Betonhäuschen. Vom Papierkram gar nicht erst zu sprechen. Endlich geschafft, wird uns mitgeteilt, dass wir den Rest des Tages an der Stelle vor dem Zoll bleiben werden. Wir können es nicht glauben. Umrundet von paradiesischen Inseln sollen wir nun tatsächlich hier bleiben, gleich neben einem kleinen Kuna-Inseldorf, das wirklich nicht einlädt, einen Inselstrandtag zu verbringen. Und vermutlich auch nicht so sehr erwünscht von den Einheimischen. Hari fährt uns zur Insel, wir spazieren in brütender Hitze zwischen den Wohnbaracken, werden genau beobachtet und natürlich als potenzielle Käufer von allem Möglichen und Unmöglichen behandelt. Nicht wirklich das, was wir uns unter den San Blas-Inseln vorstellen. Vor allem nicht, wenn wir paradiesische, unbewohnte Inseln in Sichtnähe haben. Das kleine Boot habe leider zu wenig Benzin, um uns alle zur Insel zu fahren. Alles Bitten nützt nichts. Der Kapitän ist sowieso wieder mal weg und die verbleibenden Crewmitglieder können nicht entscheiden.
Wir sitzen auf der Kuna-Insel und überlegen. Schliesslich heuern Ariel und ich zusammen mit Daniel und Katalina, den beiden Chilenen auf unserem Boot, zwei Kuna-Männer an, die uns für 10 Dollar zur nächsten Insel fahren. Etwa 1 km entfernt. Klein, hübsch, unbewohnt und mit Wasser, das aussieht, wie in einem Swimmingpool. Wir machen mit den Kunas ab, dass sie uns in eineinhalb Stunden wieder abholen und wir ihnen dann noch mal denselben Preis bezahlen.
Wir warten zur vereinbarten Zeit. Wir schauen zur Insel und auch zu unserem Segelboot. Unsere bestellte Lancha, das kleine Boot, ist aber nirgendwo in Sicht. Gut, geben wir ihnen noch die kolumbianischen 50% Verspätung. Und warten. Niemand kommt. Langsam geht schon die Sonne unter. Katalina beginnt Palmenäste und andere entzündbar aussehende Dinge für ein Feuer zu sammeln. Wir fangen an zu winken. Dann zu rufen. Drei Stunden sind nun schon vergangen. Mit dem Wind wird es langsam kühl. Wir binden einen Sarong um einen Ast und winken. Jedem Boot in Sichtweite rufen wir zu, so laut wir können. Wir werden übersehen – oder wahrscheinlich einfach ignoriert.
Die Äste brennen nicht. Alles viel zu feucht. Der Zugang zu unserer kleinen Insel ist auch nicht ganz einfach, sie ist von Riffs umgeben. Nun beginnt es sogar noch leicht zu regnen. Dumm, dumm, dumm waren wir. Die Kunas vertrinken sicher unser Fahrtgeld und amüsieren sich über die Anfängertouristen. Es war keine gute Idee, hierher zu kommen. Was, wenn uns niemand findet? Schwimmen können wir nicht. Es hat starke Strömungen, die uns ins offene Meer tragen würden, weitab von Boot und Insel. Verdammt. Ein weiteres Boot ist in Sichtweite. Daniel hat ein leeres Ölfass gefunden und schlägt nun mit einer Kokosnuss dagegen. Unser Notruf. Das Boot fährt auf uns zu, legt an der Insel an. Es ist der Besitzer der Insel. Er bringt uns zu unserem Segelboot zurück. Wir sind gerettet und einfach nur froh.