10 Tage Schweigen

meditation

Im Vipassana-Meditationskurs habe ich 10 Tage lang geschwiegen, grosse Schmerzen ertragen und mein Inneres ganz genau beobachtet. Eine wertvolle Erfahrung.

Ich werde morgens um 4 mit einem Gong geweckt, stehe auf und gehe duschen – genau wie die nächsten 10 Tage, die nun folgen. Um halb 5 beginnt die erste Meditation, ich sitze mit gekreuzten Beinen am Boden und soll den eigenen Atem beobachten. Kommt die Luft durch das linke Nasenloch oder durchs rechte? Oder kommt sie durch beide Nasenlöcher gleichzeitig? Zwei Stunden lang, danach Morgenessen, so richtig währschaft mit viel Brot, Misosuppe, Reis und Ingwertee.

Es folgt eine weitere Stunde Meditation, fünf Minuten Pause, wieder Meditation. Mit Instruktionen ab Band. Der verstorbene Vipassana-Guru S. N. Goenka spricht Englisch mit einem lustigen Akzent und viel Pathos in der Stimme. Er stammt ursprünglich aus Myanmar, dem wohl buddhistischsten Land der Welt. Eine Frau übersetzt auf Japanisch, den Pathos lässt sie weg. Immer, wenn es mir zu viel wird, versuch ich es so zu hören, wie sie es sagt: neutral, lieblich, schön.

Es ist viel von Elend die Rede und davon, wie sich jeder selbst befreien kann und soll – mit Vipassana, einer Meditationsthechnik, die Buddha vor 2’500 Jahren erfunden hat. Seither hat sie Millionen Menschen geholfen und einige erleuchtet, erzählt Goenka. Klar, dass man da pathetisch werden kann.

Ich wohne mit einem Japaner, einem Inder und drei Westlern im Zimmer. Der Inder leidet unter Schlafapnoe und schnarcht unglaublich laut. Nach der zweiten schlaflosen Nacht zieht der nerdige Amerikaner, der aussieht wie der Streber im College-Film, in ein Einzelzimmer. Ich hab zum Glück Ohropax dabei.

Vor und nach dem Mittagessen (auch das vegan und recht lecker) folgt Selbststudium: Meditation im Zimmer. Der Inder legt sich aufs Bett, streckt alle Viere von sich und schnarcht. Der Japaner nebenan sitzt stoisch im Schneidersitz auf seinem Bett und meditiert, als ob nichts wäre. Ich gehe raus in den schönen Männer-Garten und drehe Runden – 113 Schritt misst der Weg. Die Zikaden veranstalten ein imposantes Konzert, die Sonne scheint und es ist wunderbar. Nur Beine und Rücken schmerzen…

Um halb 3 die nächste obligatorische Meditation, um 5 Abendessen: einen halben Apfel, eine halbe Mandarine und Ingwertee. Mit vollem Magen kann man nicht meditieren, heisst es. Es folgt eine Stunde Video mit Goenka. Er ist alt und sieht nett aus. Was er erzählt über Vipassana tönt logisch, nachvollziehbar. Wenn er sich nur nicht immer wiederholen täte, diesen Pathos und den komischen Singsang weglassen würde. Aber ich bin ja hier, um zu lernen wie man mit unangenehmen Dingen umgeht. Und das sagt er ganz deutlich: Nicht aufregen, alles geht vorbei, „anija, anija, anija“. Um halb 10 ist Lichterlöschen.

Während dem ganzen Kurs darf nicht gesprochen werden, es gilt „nobles Schweigen“ zu bewahren: kein Blickkontakt, keine Gesten, kein Wort. Und natürlich kein Smartphone, kein Computer, keine Musik, kein Buch und kein Schreibzeug. Männer und Frauen sind strikt getrennt. Man ist voll und ganz bei und mit sich selbst, keine Ablenkung. Ziel ist es, den eigenen Körper zu spüren, von Kopf bis Fuss, aussen und innen, und dabei jede kleine Änderung genau zu beobachten. Auf Schmerzen soll nicht mit Hass und Ablehnung reagiert werden, auf schöne Gefühle nicht mit Verlangen. Einfach objektiv beobachten, denn alles geht vorbei. Auch die 10 Tage.

Das schwierigste ist, so lange still zu sitzen. Und nicht mit Moni zu sprechen, ja nicht einmal anschauen darf ich sie. Mach ich aber trotzdem. Und sie redet sogar kurz mit mir: Es geht ihr nicht gut. Ich mache mir Sorgen. Was ist passiert? Warum kommt sie nicht zur Meditation? Wenn ich sie draussen im Frauen-Garten sehe, freue ich mich. Wenn es Salat gibt, denke ich an sie und hoffe, sie geniesst. Wenn ich beim Meditieren Fortschritte mache, frage ich mich, wie sie es wohl findet? Ich finde, es ist eine sehr interessante und wertvolle Erfahrung. Nach dem siebten Tag kann ich es sogar geniessen, für kurze Momente: Die Energie fliesst, alles kribbelt, ich spüre jede Zelle meines Körper. Noch nie war ich so klar im Kopf, so ruhig und so stark. Alles scheint möglich – dann kommen die Schmerzen zurück und ich übe mich in Gleichgültigkeit.

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