Simón klingelt

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Simón verkauft Glacé aus seinem Wägelchen in Medellín. Er klingelt dabei unaufhörlich und überrascht mich, als ich ihn nach seinem Lieblingsglacé frage.

Ich treffe ihn, als ich mich endlich setzen kann. Meine Füsse schmerzen ein wenig. Sie haben mich durch die halbe Stadt getragen. Und ich merke, wie müde auch meine Beine sind. Medellín hat so viel Faszinierendes, das man sich unbedingt ansehen will. Als Fussgänger bin ich hier natürlich viel langsamer und gefährlicher unterwegs, dafür aber mittendrin. Wie anders wäre die Stadt des ewigen Frühlings ohne nicht ihre Gerüche zu kennen, ohne sich nicht mit den Menschenmassen in der Innenstadt zu bewegen, ohne ihre vielen Strassenhändler zu kreuzen?

Jetzt sitze ich hier. Auf einer kleinen Mauer unter einem Schatten spendenden Baum, vor mir der Platz der Universität. Meine Füsse sind staubig, wenn ich meine Zehen bewege, sehe ich, wie viel schwarzer Dreck sich auf meinen Sandalen festgesetzt hat. Egal, ich werde duschen können am Abend. Aber vorher will ich noch weiter durch die Strassen laufen. Gleich nach dieser kurzen Pause. Wie schön ist das, hier in Ruhe zu sitzen. Bis Simón auftaucht.

Eigentlich taucht nicht er zuerst auf, sondern sein Geklingele. Unaufhörlich klingelt es während er sein Glacé-Wägeli vor sich herschiebt. Genau hinter mir kommt er zum Stehen. Ist es der Schatten des Baumes? Ist er müde? Will er mir ein Glacé verkaufen? Er klingelt weiter. «Hielo, hielo», ruft er ab und zu oder «hielo, hielo super rico, fresa, mango, mora». Klingelingeling. Klingelingeling. Ich habe mich längst zu Simón umgedreht. Er fragt mich nicht, ob ich ein Glacé möchte. Er fragt mich, was ich hier will. «Ich sitze hier», sage ich und erinnere mich gleich an den älteren Herrn von Loriots Ehepaar und muss schmunzeln. Was er hier mache, frage ich, ohne wirklich über die potenzielle Antwort nachgedacht zu haben. «Glacé verkaufen», antwortet er und klingelt dabei munter weiter. «Heute nicht so viel», meint er. Ob er denn mehr verkaufe, wenn er klingle, frage ich ihn in der Hoffnung, dass er vielleicht eine Klingelpause einlegt. Dass er mit seinem Wagen bald weiterziehen würde, hatte ich in der Zwischenzeit schon ausgeschlossen. Er wisse es auch nicht, meint er, er klingle einfach gerne. «Ich mag diese Klingel», sagt er mit nachdenklicher Stimme, «mein Vater hatte sie vor vielen Jahren hier an diesen Wagen montiert». Klingelingeling. Klingelingeling. Seit zehn Jahren ist Simón unterwegs mit seinem Glacé-Wägeli mit der Klingel. Schiebt das eher sperrige Gefährt durch die alles andere als fussgängerfreundlichen Strassen von Medellin. «Welches Glacé magst du denn am liebsten?» Es dauert einen Moment, bis er antwortet. «Ich mag überhaupt kein Glacé», sagt er zu meinem Erstaunen. Ich denke mir, dass es wohl daran liegen mag, dass er schon zu viel davon gegessen hat. «Wie könnte ich Glacé verkaufen, wenn ich sie selber essen würde?» Wie kann man etwas verkaufen, das man selber nicht mag, frage ich mich. Wahrscheinlich, indem man unaufhörlich klingelt.

 

Bild: Ariel Leuenberger – South America 2014

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