Adam ist 29. Aufgewachsen in der Nähe von Santa Barbara, Kalifornien, USA. Jetzt fängt er auf Hawaii ein neues Leben an. Wie paradiesisch ist es hier?
Adam redet gerne und viel. Schon nach kurzer Zeit weiss ich, dass er in Hilo beklaut wurde, 2’000 Dollar und die ID haben sie ihm aus dem Auto geholt. So viel Bargeld hatte er dabei, weil er seine Freundin in Sacramento verlassen hat und mit der Hälfte des gemeinsamen Geldes nach Hawaii abgehauen ist. Jetzt wohnt er hier auf Big Island in einem Zelt, duscht mit dem Gartenschlauch und arbeitet im Gegenzug 40 Stunden pro Monat. «Ich war voll im Dilemma: Das Geld im Zelt lassen, mit mir herumtragen oder im Auto aufbewahren? Geh nie nach Hilo, Mann.»
Gross und dünn ist er, langes krauses Haar, immer mit Wollmütze oder Baseballkappe. Hinten aus der Hose hängt eine USA-Flagge, die er als Schweisstuch benutzt. Auf der Brust ein Tattoo, das einen Totenkopf zeigt, mit Revolver links und rechts. Baggy-Hose und Schlabber-T-Shirt. Gesicht und Grinsen eines Teenies.
Jetzt hat Adam kein Geld mehr. Und er weiss nicht, was er machen soll. Zurück aufs Festland? Weiter im Zelt leben? Oder einen neuen Job suchen? Zum Glück liest er dieses Buch, «The Power of Now». Das lehrt ihn, alles zu akzeptieren, wie er sagt. «Es geht immer um Akzeptanz, Mann. Wenn du etwas akzeptierst, dann kann es dir keine Angst mehr machen, dich nicht mehr aufregen, dir keinen Schmerz mehr zufügen.» Also versucht er zu akzeptieren, dass er nichts hat, dass er von vorne anfangen muss und dass die Ex-Freundin ihn stalkt und sein Facebook-Konto hackt. «Sie ist 40 und hat drei Kinder. Mann, ich dachte immer, ältere Menschen sind reifer?»
Mit dem Trinken habe er nun aufgehört, sagt Adam. All sein Geld habe er verloren wegen dem Alkohol. «Ich sag dir Mann, 100’000 hatte ich. Ein Haus, drei Autos, ein Mädchen, alles. Und dann hab ich herausgefunden, dass sie mich betrügt.» Also sei er losgezogen, eine Woche im Casino, drei Anzeigen wegen Schlägereien in betrunkenem Zustand. Alles Geld sei für die Anwaltskosten drauf gegangen. Aber: «Ich war eh nie glücklich, obwohl ich alles hatte. Nicht mal die Dusche habe ich genossen. Jetzt habe ich nichts, dusche mit einem Schlauch und geniesse das Leben. The power of now, bro, check it out!»
Nach der High School hat er die verschiedensten Jobs gemacht: Schreiner, Tierarztgehilfe, Koch, Barmann, Dealer, Import-Export und jetzt Gärtner. Er putzt den «Galaxy Garden», die ganze Milchstrasse, jeden Morgen. Mit einem kleinen Rechen spiesst er Blüten und Blätter auf, die von den Büschen der Spiralarme fallen. Vom Orion Arm bis zum Imaginary Arm. Danach kommt er in unsere Küche, bittet um ein Glas Wasser, setzt sich hin und beginnt zu erzählen.
Heute habe ihn Barbara, unsere Chefin, gefragt, ob er auch hier wohnen wolle. Das möchte er eigentlich gerne, doch sie stellt Bedingungen: «Sie will, dass ich die Flagge mit Respekt behandle und nicht als Schweisstuch benutze. Zudem soll ich meine Haare abschneiden. Und sie beklagte sich über meinen Körpergeruch. Ich versuche das nicht persönlich zu nehmen. Akzeptanz, Mann.» Eigentlich wäre Kona, die Stadt, viel besser, meint er. Da kümmert es niemanden, wie er aussieht. Und am liebsten würde Adam mit uns mitkommen nach Kolumbien – aber leider fehlt das Geld.
Typen mit ähnlichen Geschichten wie Adam gibt es viele hier. Sie sind mit paradiesischen Vorstellungen aber ohne Geld und Ausbildung nach Hawaii gekommen, um dann ziemlich schnell auf dem Boden der Realität zu landen. Mindestlohn: knapp 8 Dollar die Stunde. Schäbige Unterkunft: 40 Stunden Arbeit pro Monat. Die Arbeit: das Land vom dichten Dschungel befreien. Die Lebensmittel: teurer als in der Schweiz. Also halten sich die meisten nur knapp über Wasser und können nicht weg, weil das Geld fehlt. Die ebenfalls vom Festland eingewanderten Farmer nützen das gnadenlos aus – das Paradies gibt’s hier nur für die Reichen.