Man stelle sich vor, Bundesrat Schneider-Ammann verkauft den Zugersee an Implenia, ohne die Bevölkerung gefragt zu haben. Dann füllt Implenia den See mit Sand, während die Regierung alle Anwohner zwangsweise umsiedelt.
Wir mögen Phnom Penh: Die Hauptstadt Kambodschas liegt am schönen Mekong und hat rund 2 Millionen Einwohner. Das Leben pulsiert Tag und Nacht, die Wirtschaft boomt, die Mieten sind für Ausländer (noch) erschwinglich, das kulturelle und kulinarische Angebot ist gross. Einzig der See fehlt. Letzteres ist noch nicht lange so: Bis 2010 gab es mitten in Phnom Penh einen grossen, lauschigen See. Er hiess Boeung Kak. Über 3’500 Familien wohnten und arbeiteten an seinen Ufern. Dann wurde er mit Sand aufgefüllt. Die Geschichte dieses Sees illustriert die Verhältnisse in Kambodscha überdeutlich. Sie beginnt damit, dass Premierminister Hun Sen den gesamten See und das Umland an den Baukonzern Shukaku verkaufte, für 79 Millionen Dollar und begrenzt auf 99 Jahre. Der Baukonzern gehört der Frau von Lao Meng Khin, einem Minister der Regierungspartei. Der Deal wurde 2007 hinter verschlossenen Türen besiegelt, die Öffentlichkeit wusste nichts davon. Erst als Shukaku riesige Rohre verlegte und begann, Sand vom nahen Fluss in den See zu pumpen, wurde klar, was hier vor sich ging: Eine neue Siedlung mit luxuriösen Wohnungen und Geschäften soll entstehen.
Der Wasserspiegel stieg an, überschwemmte die Häuser am Ufer bis sie einstürzten. Der Sand zerstörte die Einkommensquelle der Anwohner, die von Fischfang und Gemüseanbau lebten. Sie wurden im August 2009 vor die Wahl gestellt: Entweder 8’500 Dollar Entschädigung pro Familie, eine Wohnung in der neu entstehenden Siedlung oder neues Land, 20 Kilometer ausserhalb von Phnom Penh. Sie hatten eine Woche Zeit, sich zu entscheiden. Viele wählten Widerstand. Eigentlich sind solche Landraube von Gesetzes wegen verboten. Trotzdem sind sie seit den 90er-Jahren an der Tagesordnung. Rund 11 Prozent der gesamtem Bevölkerung von Phnom Penh wurde gewaltsam umgesiedelt, an Orte ohne Infrastruktur, ohne Schulen und ohne Spitäler. Also wenden sich die Betroffenen an NGOs, welche für sie vor Gericht gehen – meist ohne Erfolg. Denn in Kambodscha werden Gesetze systematisch umgangen. Recht erhält, wer mehr bezahlt.
Als die Bewohner von Boeung Kak mit friedlichen Protesten auf ihre Situation aufmerksam machten, wurden sie von Armee und Polizei brutal geschlagen und eingesperrt. Erst letzte Woche wurden sieben Frauen freigelassen, die als Anführerinnen der Proteste gelten. Sie verbrachten Monate unter menschenunwürdigen Haftbedingungen, eingesperrt mit 60 anderen in einer Zelle. Die älteste Frau ist über 70 Jahre alt. Immerhin: Unter starkem nationalen und internationalen Druck gewährte Hun Sen 2011 rund 700 Familien das Recht, 12 Hektaren Land in der Nähe des ehemaligen Sees zu bewohnen. Allerdings wurde auch dieses Recht nicht vollständig durchgesetzt. 96 Familien seien nicht berechtigt, hiess es, weil sie noch nicht in der Zone gelebt hatten. Ihr Land wurde stattdessen Shukaku zugesprochen.
Heute ist der See eine Wüste. Von den ehemaligen Dörfern am Ufer ist nicht mehr viel übrig. Bei starken Regenfällen drohen Überschwemmungen, weil die Abflussrohre dem vielen Wasser, das sich in der Wüste ansammelt, nicht gewachsen sind. Auch von der geplanten Siedlung ist nichts zu sehen – sieben Jahre nachdem die Sandpumpen angelaufen sind. In der Schweiz wäre das ein Monsterskandal. Schneider-Ammann müsste zurücktreten, Implenia würde verklagt, die Medien hätten jahrelanges Futter für Berichte. Aber hier in Phnom Penh ist die Geschichte von Boeung Kak kein Thema in den staatlich finanzierten Medien – und andere gibt es nicht. Trotzdem: Wir mögen Phnom Penh. Das Wetter ist gut, die Leute sind nett, die Früchte sind süss und unsere Arbeit macht uns Spass. Nur der See fehlt.
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