Wie wir Paradiesgärtner wurden

let's do this

Enttäuscht, verzweifelt und müde laufen wir mit Sack und Pack in der prallen Sonne dem Highway entlang. Wir haben eine zwanzigstündige Reise hinter uns plus eine schlaflose erste Nacht auf Hawaii. Hoffentlich nimmt uns bald ein Auto mit.

Wir sind weggelaufen von der Farm, auf der wir eigentlich für die nächsten zwei Monate aushelfen wollten. Täglich fünf Stunden sollten wir arbeiten, gegen Kost und Logi. Kaffeepflücken und Macadamianüsse ernten, allgemeine Farmarbeit oder Unterstützung beim Online-Verkauf – was genau, wussten wir nicht. Wohnen würden wir in einer eigenen Hütte. Zur Verpflegung stünde uns eine Küche mit einem grossen, stets gefüllten Kühlschrank zur Verfügung. Viel mehr Informationen hatten wir nicht in Erfahrung bringen können, bevor wir herkamen. Unsere Mails wurden nur sehr unvollständig beantwortet. Unsere Bitte nach einem Telefongespräch harsch abgelehnt. Ich hätte es wissen müssen.

Nur alle fünf Minuten kommt ein Auto. Und niemand scheint uns mitnehmen zu wollen. Wahrscheinlich auch kein Wunder bei unseren Regenwettergesichtern.

Ich hatte kein gutes Gefühl, ignorierte es jedoch erfolgreich und hoffte auf das Beste, wie so oft. Aber was wir da auf der Farm angetroffen haben, das kann ich kaum fassen. Diane, die Besitzerin, stackste gestern Abend im Dunkeln über Wurzeln und Nüsse den Hang hinauf. In der Hand einen halb funktionierende Leuchtstab, wir mit unserem Gepäck hinterher. 250 Meter später ein Hüttli: Unsere Unterkunft für die nächsten zwei Monate. Ein Hundehüttli aus ein paar Holzbrettern mit einem Kasten und einer Kinderbettmatratze. Daneben noch etwa ein Meter Platz, kein Licht, kein Strom. Es war dreckig und feucht, es roch, überall waren Hundehaare. In der Kammer nebenan zwei andere. Ihr Atem war hörbar.

Ich war den Tränen nahe. Dass ich mich auf eine Dusche gefreut hatte, war vergessen. Nicht mal unsere Kleider hatten wir gewechselt, hatten versucht, auf der Pritsche Platz zu finden und kein Wort gesagt. Ich wollte nur noch die Augen schliessen und hoffen, dass dies ein Albtraum sei.

Es wurde nicht besser heute Morgen: Die ganze Farm erschien wie ein riesengrosses Outdoor-Kinderzimmer, das nie aufgeräumt und immer weiter zugestellt wird. Wir sahen nun, wie dreckig und schmuddelig hier wirklich alles ist. Eine Dusche gab es nicht. Die Küche verdiente ihren Namen nicht: Zwei Herdplatten, ein schäbiger Tisch, Berge schmutzigen Geschirrs vom Vortag, ein kleiner Kühlschrank überfüllt mit geöffneten Lebensmitteln. Das alles unter einer alten Plastikplane im Freien. 14 Leute sollten sich hier täglich verpflegen.

Wir haben Diane gesagt, dass wir hier nicht vorfinden, was beschrieben war. Dass wir hier nicht bleiben werden. Sie war nicht sehr erfreut.

Wir sind es auch nicht. Zwei Monate auf Hawaii können wir uns ohne Job kaum leisten. Und wir machen ziemlich viele Jobs, sicher auch Farmarbeit. Wir übernachten gerne auch mal abenteuerlich – aber nicht während zwei Monaten und vor allem nicht gegen fünf Stunden Arbeit täglich. Und jetzt? Früher Abreisen ist keine Option: In acht Wochen treffen wir Isa und Michi auf der Nachbarinsel. Darauf freuen wir uns schon lange.

Endlich hält ein Auto. «Wo wollt ihr hin?» – «Zum Highway 11.» – «Ja, es kann sein, dass ich dahin fahre.» Wir steigen ein. Wir sehen einen adrett gekleideten Mann Mitte fünfzig, freundliches Gesicht. Ob wir schon lange hier seien, will er wissen. «Ah, euer erster Tag auf der Insel. Möglich, dass dies heute mein letzter Tag ist,» sagt er, völlig ohne Pathos. Wir zögern erst mit Nachfragen und erfahren dann, dass er Morgen wegfliegt, nach zwanzig Jahren. Ob er aufgeregt sei, will ich wissen. «Nun, ich empfinde Vieles. Und ja doch, Aufgeregt sein ist etwas davon. Seid ihr aufgeregt?»

Maika, so heisst der Mann, spricht sehr langsam und nachdenklich. Seine Aussagen sind kurz. Ist er der kiffende Alt-Hippie, so wie man ihn sich auf Hawaii vorstellt? Oder sind seine Aussagen doch bedachter, als es im ersten Moment scheint? Die Fahrt in seinem Auto dauert nicht allzu lange. Aber lange genug als dass ich weiss: Maika ist ein sehr faszinierender Mensch. Ohne dass er gewusst hätte, was uns da eben widerfahren ist auf der Farm, steigen wir aus dem Auto mit der Telefonnummer von Barbara. Sie könne vielleicht Unterstützung gebrauchen, meinte er, wir sollten sie anrufen.

Barbara wird schon von uns wissen, wenn wir sie anrufen. Wir werden bei ihr arbeiten, als Gärtner in ihrem wundervollen Paleaku Peace Sanctuary, einem botanischen Garten, der früher ein Meditationszemtrum war. Und wir werden hier unser Paradies finden. Noch nie hatten wir eine schönere Aussicht bei der Arbeit. Die morgendlichen Arbeitsstunden im ruhigen Garten wirken auf uns oft schon fast wie eine Meditation. Und hier soll alles schön und sauber und friedlich sein.

Maika übrigens hatte bis vor Kurzem selber hier gewohnt und war während der letzten fünf Jahre verantwortlich für den Garten. Das Auto, in dem er uns mitfahren liess, gehört Barbara. Und in Barbaras Auto darf man keine ‚Stöppler’ mitnehmen. «Das Auto hat sich eigenständig den Beiden zugewandt und gestoppt,» war Maikas Erklärung, wie wir denn in das Auto gekommen seien. Maika findet, unsere Begegnung war Schicksal. Und wir sind einig mit ihm.

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