Wenn Freunde plötzlich in einer andern Welt leben

A3210763

Wer langzeitreisende Freunde unterwegs besucht, sollte wissen: Das beidseitig lang ersehnte und sicherlich erwartungsbeladene Ereignis ist plötzlich da. Und dann auch schon fast wieder vorbei. Es kann zuweilen mächtig überfordern.

Bereits als wir unsere lange Reise geplant haben, standen die Fragen im Raum: Wie werden wir so lange weg sein können von unseren Liebsten, von den Menschen, die uns so wichtig sind, mit denen wir unsere Freuden und Sorgen teilen, unsere Zeit verbringen, uns gegenseitig motivieren und inspirieren? Können Freundschaftspflanzen austrocknen, wenn man über längere Zeit die gewohnte Pflege unterlässt? Wird es noch dasselbe sein, wenn wir nach einer langen Reise zurück in die Heimat kommen und sie wiedertreffen? Diese Fragen konnten wir nicht wirklich klären. Wir wussten, oder besser gesagt hofften, dass wir einige Freunde auch während unserer Reisezeit wiedersehen würden.

Entsprechend gefreut haben wir uns über die gemeinsamen Reisepläne, die nach und nach entstanden sind. Über die umständlichen Routen, die unsere Freunde auf sich nehmen wollten, damit wir uns sehen konnten. Über ihre wertvollen Ferientage, die sie mit uns, den Ferientechnikern, zu verbringen gedachten. Nach fünf Monaten auf Hochzeitsreise sollten wir zum ersten Mal Besuch aus der Schweiz erhalten. Drei Wochen lang. Den zweiten Besuch gleich anschliessend. Fünf Monate später würden wir noch einmal eine Woche lang mit Freunden unterwegs sein. Und dann planten wir ab Januar zweieinhalb Monaten erst mit den Eltern und dann mit Freunden.

Natürlich haben wir uns im Vorfeld ein paar Gedanken zur gemeinsamen Reisezeit gemacht, haben Pläne und Fragen ausgetauscht. Viel Zeit ist seit dem letzten Zusammentreffen vergangen – viele Wochen, prägende Erfahrungen, schwierige und freudige Ereignisse später, sieht man sich wieder. Sollen wir den Anspruch haben, Verpasstes aufzuholen? Ist dies überhaupt möglich? Oder setzen wir einfach da ein, wo wir aufgehört haben? Wir wussten es nicht und schwelgten vor allem in Vorfreude. Wie schön würde es sein, endlich wieder mit Menschen Zeit zu verbringen, die man schon lange kennt, mit denen man nicht wie mit neuen Bekanntschaften von vorne anfangen muss. Wir hatten nicht an Schwierigkeiten gedacht, die auftreten könnten, wenn man sich unterwegs trifft. Vielleicht hätten wir das besser tun sollen. Denn ganz so einfach ist es tatsächlich nicht.

Auf jeden Fall ist es ein Abenteuer. Denn die Erwartungen sind hoch. Bestimmt auf beiden Seiten. Ähnlich vielleicht wie wenn neue Mitglieder zu einem bestehenden, gut funktionierenden Team stossen. Die Gruppe muss sich neu finden, gemeinsame Regeln aufstellen und Ziele definieren. Und dazu den üblichen Bildungsprozess durchlaufen. Mit den natürlichen Freuden und Leiden. Es braucht tatsächlich Angewöhnungszeit. Ja, das hatten wir nicht geglaubt: Wir mussten uns an unsere Freunde gewöhnen. Es wurde uns bewusst, wie weit weg wir voneinander leben. Und auch, wie sehr Ariel und ich unser Verhalten aufeinander abgestimmt haben. Das klingt jetzt sicherlich sonderbar, aber ich glaube, ein klein wenig Eifersucht hab ich auch gespürt, als ich Ariel plötzlich teilen musste. Mit der Anwesenheit von unseren Freunden haben wir gemerkt, wie viele kleine Dinge automatisch geschehen: Entscheidungen und Handlungen, die, wenn sie nicht in der Gruppe diskutiert oder zumindest angesprochen werden, der Zusammengehörigkeit schaden können. Besuch auf der Reise heisst auch, einen Spiegel vorgesetzt zu bekommen. Und nicht immer hat mir gefallen, was ich darin gesehen habe.

Tatsache ist, dass beide ein Leben leben, das nicht nur geografisch weit voneinander entfernt ist. Unsere Freunde leben in unserer alten Heimat. Erleben dort einen durch Arbeit strukturierten Alltag mit unterschiedlichen Herausforderungen und brauchen geschickt zu planen, damit auch Freizeit, Familie und Freunde nicht zu kurz kommen. Wir hingegen haben unsere alte Heimat und den gewohnten Alltag verlassen. Die Arbeit, die einen grossen Teil unseres Lebens ausgemacht hat, haben wir nicht mehr, unser Lebensstil hat sich zwangsläufig geändert. Das alles ging mehr oder weniger automatisch, war uns aber bewusst. Was wir jedoch nicht wussten: Ob, wie sehr und in welche Richtung wir uns selber verändern würden. Mit dem Ziel oder der Hoffnung, uns zu verändern, sind wir ja nicht losgezogen. Auch nicht, um uns zu finden.

Gefunden haben wir einen neuen Alltag. Mit neuen Herausforderungen, die so selten jenen aus unserem früheren entsprechen. Auch unterwegs, in unserem neuen Leben, einen Alltag zu haben, das haben wir früh gemerkt, ist wichtig für uns. Wenn wir an einen neuen Ort kommen, verhalten wir uns so, als ob wir länger hier leben würden. Wichtiger als touristische Höhepunkte sind uns meist Oasen, wo wir uns wohlfühlen und Zeit verbringen. Wir suchen uns Plätze, wo wir auf Einheimische treffen, schätzen es, wenn wir uns da, wo wir momentan sind, ein Zuhause schaffen können. Lieber auf dem heissen, staubigen und schwer erreichbaren lokalen Markt ein paar Stunden verbringen und regionale (uns oftmals auch unbekannte) Produkte einkaufen, anstelle der aus touristischer Perspektive näher liegenden Variante eines Restaurantbesuches nach einer ermüdenden Tagestour zu den schönsten Fotosujets. Wir versuchen, unsere Tage zu strukturieren, bauen uns bewusst wiederkehrende Rituale ein, die ein wenig Sicherheit bieten in einem oft sehr unabsehbaren Reiseleben. Anders natürlich, wenn man in die Ferien fährt. Verständlicherweise möchte man eigentlich genau das Gegenteil. Man wünscht sich aussergewöhnliche Situationen, alles, aber sicher nichts, was dem Alltag Zuhause nahe kommt, man will sich etwas gönnen, sich verwöhnen, sich etwas leisten, die kurze, wertvolle Zeit so gut wie möglich ausnutzen, viel reisen, möglichst Vieles sehen.

Da treffen dann in der Tat zwei Welten aufeinander. Die sich zwar sehr mögen, und noch mehr lieben möchten, aber doch irgendwie schwer kompatibel sind. Eine Reisewelt und eine Ferienwelt. Sie lassen sich vereinen. Sehr gut sogar, das durften wir erfahren. Aber es braucht ein wenig Angewöhnungszeit. Verpasste Zeit lässt sich schlecht aufholen – bei guten Freunden ist das auch nicht notwendig.

Unterwegs seine liebsten und immer auch vermissten Menschen zu treffen und ein Stück gemeinsam Reisen zu können, ist ein ganz besonderes Geschenk. Auch wenn wir die Möglichkeiten von Videotelefonie sehr schätzen, ein persönliches Treffen ist unvergleichlich: Wir durften Freundschaft neu erleben, uns gegenseitig noch ein Stück besser und von andern Seiten kennenlernen. Zusammen Neues zu entdecken ist etwas vom Schönsten, was es gibt. Schön auch, dass wir dank unseren Freunden wieder mehr sehen, dass Gewohntes wieder speziell erscheinen kann. Wer zum ersten Mal einen Kontinent bereist oder eine neue Kultur kennenlernt, sieht Vieles mit andern Augen, freut oder entsetzt sich über einige Dinge, die für uns schon selbstverständlich geworden waren. Die bisherige Reisezeit mit unseren Freunden werden wir als einzigartiges Erlebnis in Erinnerung behalten, das uns sehr positiv bereichert hat.

Kommentar verfassen