Ein Ausflug zu den Suchenden von San Marcos la Laguna, einem Dorf mit spiritueller Ausstrahlung am Lago Atitlán in Guatemala.
Wo bitte sind wir denn hier gelandet? In San Marcos, einem lauschigen Dörfchen am Lago Atitlán, dem von Vulkanen umringten See im Hochland Guatemalas. So meinten wir. Und tatsächlich: Die Landschaft ist grandios. Man stelle sich den Lago Maggiore mit hohen Vulkanen im Hintergrund vor. Aber das Dörfchen ist irgendwie kurios. Überall hängen Plakate, auf denen allerlei esoterische Kurse und Sessionen angeboten werden, von «Mushroom Growing» über «Dark Meditation» bis zu «Soul Shifting». Entsprechend «alternativ» auch die Besucher, die hier herumlungern: Langhaarige Barfuss-Hippies, stinkende Rasta-Artesanos, tätowierte Hobby-Mönche und erleuchtete Esoteriktanten. Dazwischen die sorgfältig gepflegten, schönen traditionell gekleideten, einheimischen Maya-Frauen.
Wir mieten ein Zimmerchen bei einer netten Familie und kochen unsere Instant-Nudelsuppe. Es war eine anstrengende Reise hierher. Der alte amerikanische Schulbus kurvte in atemberaubendem Tempo durch die Bergstrasse von Antigua nach Panajachel. Zu dritt sassen wir auf dem Zweierbänkchen und schleuderten durch die Gegend. Ich erklärte der alten Frau neben mir, dass die Schweiz im Ausland liegt und sie erzählt mir von ihrer Familie. Fünf Kinder, vier Söhne, einer studierte. In Pana stiegen wir um auf ein kleines Schiff. Jetzt sind wir hier in San Marcos — eigentlich, um der Hitze der Stadt zu entfliehen und an einem schönen, ruhigen Ort Yoga zu machen. Doch die Nudelsuppe schmeckt fad und auch sonst stimmt in diesem Dorf einiges nicht.
Die meisten Mayas sind arm, wohnen in Bruchbuden, duschen draussen am Brunnen, kleiden sich sehr sorgfältig und sind gepflegt. Ganz anders die wohlhabenden Hippie-Touristen, denen die Körperhygiene unwichtig scheint, denen Kleider nur Ausdruck der Konsumgesellschaft sind, und die also ganz verwahrlost herumlaufen. Sie interessieren sich denn auch nicht für die lokale Kultur, sind sie doch aus einem ganz anderen, «spirituellen» Grund hier. Allenfalls lesen sie in den — selbstverständlich von Expats geführten — Restaurants noch den Hinweis: «Food prepared by locals». Uns stört das alles. Wir fühlen uns unpassend und unwohl, auch weil die Einheimischen hier verständlicherweise ziemlich reserviert gegenüber Fremden sind.
Am Abend wird klar, wer der Chef im Dorf ist: Die evangelische Freikirche. Der Pastor singt sich in Exstase, begleitet von einer himmlischen Kuschelrockband mit Keyboards, Bass und Gitarre. Der Heilige Geist sei heute Abend da, das verkündet er, und die Glorie Gottes. Seine Gemeinde spricht er immer wieder an, Hermanos, sagt er, Brüder, el está aquí, er ist hier, Hallelujah. Fast beginnt er zu weinen, so ergriffen ist er jetzt, nach diesem wahrlich bewegenden Lied, das gar nicht mehr aufhören will. Seine Stimme wird immer leiser, genauso wie die Musik, doch es geht immer weiter und weiter. Er redet und redet, langsam wieder lauter, schneller, intensiver, seine Stimme überschlägt sich, er wird heiser, schreit richtig ins Mikrophon, die Musik stimmig dazu, von Klavierarpeggios im Hintergrund zum lauten Tohuwabohu, das in eine neue herzergreiffende Hymne mündet: Aí díos mío poderoso, gracias por todo, gloria a díos! Und alles geht wieder von vorne los, sicher vier Stunden lang. Was für ein Gottesdienst! Wer da nicht gesegnet hinaus kommt, bei dem ist wirklich Hopfen und Malz verloren. Wir können das zum Glück von unserem Zimmer aus mitverfolgen und müssen nicht mal in die Kirche. Hallelujah.
Im japanischen Veganer-Restaurant sitzen drei Hippies und musizieren vor sich hin. Jamsession. Mit Djembe, Gitarre und Querflöte. Wir möchten gerne etwas essen, werden aber nicht beachtet. Beim Eingang Ständer voller Batikshirts, Wickelröcke und brennenden Räucherstäbchen. Durchgesessene Sofas an der Wand, niedere Tischchen mit farbigen Decken. Fehlen nur noch ein paar hängengebliebene Kiffer und ein Didgeridoo. Es sieht nicht so aus, als ob es hier leckeres Essen gäbe, doch wir könnten uns täuschen. Vorsichtshalber ziehen wir uns langsam und unauffällig zum Ausgang zurück und machen uns aus dem Staub.
Am See sitzen wir auf einen Holzsteg, trinken Bier und schauen uns bei einer erfrischenden Brise den Sonnenuntergang an. Fast alleine. Die Erleuchteten sind einen Steg weiter anzutreffen, sie haben Gitarren dabei, sind bunt bemalt, tragen undefinierbare Tuchklamotten, lange Haare und Hunde. Sie singen «Blowing in the Wind», ganz genau wie in den 70er Jahren — some things never change. Aber wir wechseln den Ort: Morgen geht’s auf nach San Pedro am Ufer vis-á-vis, dort liegt unser gelobtes Land, dort wollen wir den Vulkan besteigen, dort wird es gut.
Falls ihr mal am Lago Atitlán sein solltet, so lasst euch gesagt haben: Quartiert euch in San Pedro la Laguna ein, mietet am nächsten Morgen ein Kajak und rudert damit nach San Marcos herüber, besucht den wunderschönen Park «Cerro Tzankujil», badet dort im See, geniesst die phantastische Aussicht und dann schnell wieder zurück. Ausser ihr nehmt am «Personal Development»-Kurs im «Holistic Centre» teil. Der fängt immer bei Vollmond an und dauert 28 Tage. Aber mehr können wir dazu nicht sagen.
2 Kommentare
Ja die Ekstase öffnet verschiedenen Geistern und Urgeistern Tür und Tore und wenn ein deklarierter Priester sich so verhält gibt es vermutlich nur zwei mögliche Reaktionen, entweder es ist mächtig abstossend oder dann eben mächtig anziehend und begeisternd. Ich bin froh, dass Ihr euch für die erste Variante entschieden habt! Liebe Grüsse Res
Danke! Es ist eine grosse Show, was viele Freikirchen anbieten, ähnlich einem Pop-Konzert. Hab das in der Schweiz mal gesehen und war sehr beeindruckt von der Choreografie deren Wirkung auf die Gemeinde. Grosses Kino, aber ich bin dafür ganz und gar nicht empfänglich – zum Glück.
Liebe Grüsse, Ariel