Die Spitaltesterin in Japan

Notfallaufnahme

Irgendwie scheint mir auf der langen Reise spezielle Aufmerksamkeit zu fehlen. So habe ich mir mehr oder weniger bewusst vorgenommen, medizinische Institutionen zu testen. Kein übliches Touristenprogramm. Was ich dabei erlebe, gehört sicher in die Kategorie der unvergesslichen, manchmal auch zu vergessen gewünschten Erlebnisse.

In Japan zum Beispiel. Ich gehe da also in dieses Spital. Gross und sauber ist es. Ich sehe sehr viel weniger Patienten als Angestellte. Die sind alle schön uniformiert hinter ihrem Pult oder Schalter. Ich muss auf der ersten Wartestuhlreihe Platz nehmen. Dann ein Zeichen der Frau von Schalter 1: Anmeldung. Personalien ausfüllen, Fragebogen durchackern. Mein japanischer Chef ist zum Glück als Übersetzer dabei. Papiere am Schalter abgeben. Sie kommen ins Fächli links. Wieder Platz nehmen auf Wartereihe zwei. Schliesslich weiter zu Schalter 2: Mögliche medizinische Leistungen vorbezahlen. Quittung zu Schalter 3 bringen. Beim Schalter 3 bekomme ich alle Papiere und die Quittung gestempelt und schön sortiert in einem Plastikmäppli ausgehändigt. Auf der Etikette steht in japanischen Zeichen die Tür, vor der ich warten soll. Meine Gummischuhe quietschen fürchterlich in der ansonsten geräuschlosen Umgebung, als ich den Gang zur genannten Tür herunterschreite.

Später dann muss ich ohne meinen Übersetzer in den Röntgenraum, wo mich ein junger Arzt empfängt. Ein halb geschlossener Vorhang inmitten des Raumes scheint eine Art Umkleide zu bilden. Dorthin verweist mich der Arzt. Seiner Gestik – er zeichnet mit seinen Händen eine Horizontale auf Brusthöhe – entnehme ich, dass ich mein T-Shirt und eben auch den BH ausziehen soll. Macht man ja so beim Röntgen. Etwas irritiert bin ich dann doch, als er mir ein kleines Plastikkörbli in die Hand drückt und den Vorhang hinter mir schliesst. Aber gut, ich kann mich schon hinter dem Vorhang ausziehen. Es ist nicht das erste Mal, dass ich etwas mache, weil man das eben so macht in Japan.

Was dann passiert, nagt noch immer arg an meinem Selbstbewusstsein, verfolgt mich in schlimmen Nächten in meinen Träumen: Ich habe meine Oberteile also vollständig ausgezogen, meine Kleider japanisch akkurat gefaltet in das Körbli gelegt und öffne diesen komischen Vorhang. Der junge Arzt steht vor mir, sieht mich vielleicht eine Hundertstelsekunde an, schlägt dann entsetzt !!entsetzt!! seine Hände vors Gesicht, dreht sich mit noch immer einer Hand vor den Augen halb weg und winkt mit der andern wie wild und schreit schon fast: ieh, ieh! – nein, nein! Kaum zu beschreiben, wie schmerzlich überraschend sich dieser kurze Moment anfühlt: Da stehe ich also barbusig vor einem jungen Mann und der schlägt sich beinahe schreiend und angewidert die Hände vors Gesicht, so, als ob ich im Begriff wäre, ihn aufs Übelste zu foltern.

Seitwärts mit noch immer halb verdeckten Augen läuft der Radiologe in Richtung Plastikkörbli, zeigt auf mein T-Shirt und schiebt ein wenig umständlich den Vorhang wieder hinter mir zu. Wahrscheinlich hätte ich nur den BH und nicht auch noch das T-Shirt ausziehen sollen. Deshalb auch der Vorhang. Alles klar.

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